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Das Grab - Roman

Das Grab - Roman

Titel: Das Grab - Roman
Autoren: Richard Laymon
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Fußspitzen, bis sie so biegsam war, dass sie die Sohlen ihrer Schuhe umfassen konnte.
    Sie richtete sich auf und fing an zu laufen. Zweimal lief sie um den Block, weil es ihr irgendwie widerstrebte, sich weiter vom Haus zu entfernen. Doch sie sehnte sich danach, auszubrechen, ihre Fesseln abzustreifen. Sie ignorierte das kaum merkliche bange Flattern in ihrem Magen und wandte sich in Richtung Downtown.
    Abgesehen von ein paar Lieferwagen war die Main Street verlassen. Sie rannte am Riverfront vorbei, an Aces Sportartikelgeschäft und dem hell erleuchteten Doughnut-Laden, aus dem köstliche Düfte strömten und spürte, dass ihre Beine allmählich ermüdeten, als sie vor der Praxis langsamer wurde.
    Als sie schließlich den Park am nördlichen Stadtrand erreichte, atmete sie keuchend, und ihre Beine fühlten sich wie warmes Blei an.
    Sie fiel in einen langsamen Trab. Und blieb auf dem Kamm des Hügels stehen. Sie sah auf den bleichen Streifen des Strands hinab. Die dunklen Umrisse der Geräte auf dem Spielplatz. Die Rutsche und die Schaukel.
    Leer.
    Kein Jack.
    Ihre Augen wurden warm. Ihre Kehle eng.
    Über das rutschige, taunasse Gras ging sie den Abhang hinunter und dachte daran, wie sie an dem Morgen, an dem sie ihn das erste Mal gesehen hatte, auf den Hintern gefallen war. Damals war er für sie ein Fremder gewesen, der auf der Rutsche saß und sie beobachtete.
    Für eine kurze Zeit hatte er die Leere in ihrem Herzen ausgefüllt.
    Nun war er nicht mehr da.
    Vicki ging über den Sand. Sie erklomm die Metallsprossen der Leiter und setzte sich oben auf die Rutsche. Die Plattform war feucht. Die Nässe drang durch den Hosenboden ihrer Shorts, doch es war ihr egal. Sie saß dort, wo Jack gesessen hatte, und fühlte sich ihm nah.
    Von hier konnte sie den dunklen Abhang sehen. Sie fragte sich, ob es ihn amüsiert hatte, als sie auf den Hintern geplumpst war. Nach dem Sturz war sie zum Ufer runtergegangen. Er musste sie beobachtet haben. Ihr Rücken hatte wie verrückt gejuckt. Sie war in den Fluss gewatet und hatte sich einen Stock aus dem Wasser geangelt und sich damit den Rücken gekratzt. Sie hatte an Paul gedacht, und die Erinnerung an jenen frühen Morgen mit ihm auf der Badeplattform hatte sie ganz traurig gemacht.
    Jetzt konnte man die Plattform nicht sehen, sie lag unter einer dichten Nebelbank verborgen.
    Auch an jenem letzten Morgen mit Paul hatte Nebel über dem Fluss gehangen. Dicke flauschige Schwaden, die sie zudeckten, als sie sich umarmten. Niemand hätte gesehen, wenn sie miteinander geschlafen hätten. Doch sie hatten es nicht getan, und sie erinnerte sich, dass sie im Wasser gestanden hatte, ihr Herz voll Sehnsucht und Bedauern, und sich gewünscht hatte, sie könnte die Zeit zurückdrehen.
    Und die ganze Zeit hatte Jack ihr zugesehen. Von hier oben.
    Sie hatte mit offenen Augen von dem einzigen Mann geträumt, den sie je geliebt hatte, und der Mann, den sie später lieben würde, hatte hier oben auf der Rutsche gesessen und sie beobachtet und sich Gedanken über sie gemacht.
    Sie schloss die Augen und dachte daran, wie sich Jacks breiter, muskulöser Körper angefühlt hatte, sein Mund …
    Als er an ihrer Schulter saugte und zubiss, während er sie gegen die Badezimmerwand rammte.
    Ihr Magen krampfte sich zusammen, und sie wimmerte leise. Sie öffnete die Augen, katapultierte sich vorwärts und sauste die feuchte Rutsche hinab. Sie flog vom Ende der Rutschbahn und stolperte durch den Sand.
    Rannte vor der Erinnerung davon.
    Blieb nur kurz stehen, um ihre Schuhe und Socken auszuziehen, sprintete in den Fluss und tauchte mit einem Hechtsprung unter. Das kalte Wasser war ein Schock. Mit einem Schlag war ihr Kopf völlig klar.
    Das ist verrückt, dachte sie. Was tue ich denn hier?
    Ich hab alles Recht der Welt, verrückt zu sein.
    Sie legte den Kopf zurück, tauchte an die Oberfläche und schwamm mit kräftigen Stößen in Richtung Plattform. Sie konnte sie durch den Nebel nicht sehen, doch sie wusste genau, wo sie war.
    Sie war wie ihr Zuhause, diese Badeplattform. Dort war sie glücklich, unschuldig und verliebt gewesen, bevor die schlimmen Zeiten kamen, vor der Einsamkeit, bevor all diese entsetzlichen Dinge passierten.
    Als Vicki einen Moment lang innehielt und nur mit den Füßen das Wasser trat, hörte sie es. Das leise, vertraute Glucksen, mit dem der Fluss an den Öltonnen leckte, die das Floß trugen. Sie schwamm darauf zu, und die alten verwitterten Holzplanken tauchten aus den Nebelschleiern
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