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Das Grab der Legionen

Das Grab der Legionen

Titel: Das Grab der Legionen
Autoren: Rolf Krohn
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Die Herrin der Villa träumte halb und hatte nur einen Teil verstanden. „Lies vor!" befahl sie dann.
    Jupiters Segen über meinen Vater und meine Mutter! Ihn flehe ich auf Eure Häupter herab und vor allem Gesundheit.
    Siegreich kämpfen wir für die Adler des ewigen Rom und zerstreuen die Scharen der Barbaren, wo immer wir sie treffen. Ich hoffe, zur Regenzeit wieder in Tarraco zu sein. Der gnädige Tribun Servius Älius will mir einen Urlaub gestatten, und wenn es die Götter nicht mißbilligen, werde ich Euch bald die Verehrung eines treuen Sohnes zu Füßen legen können. Für zwei, drei Wintermonate, meinte der Tribun, dürfe ich ohne weiteres in Rom bleiben.
    Erst wenn man hier in tiefer Barbarei kämpfen muß, erkennt auch der Trägste, wie schön Rom ist. Es gibt keine andere Stadt auf der Welt, und Jupiter möge sie schützen.
    Euch grüßt Euer Sohn
    Titus Fulvius Flaccus
    „Es ist gut", sagte die Herrin nachdenklich, als der Sklave den Brief sinken ließ und auf weitere Befehle wartete. „Du kannst gehen... Halt! Gibt es andere Nachrichten?"
    „Nein, Domina Calpurnia, nur dies Schreiben. Wie immer kam es mit der Post des Statthalters."
    „Geh, Melus!" Eine müde Geste.
    Wollten die Bedenken nie weichen? Damals hatten die Priester eindeutig gesprochen, und Lucius war ungehalten, daß sie sich immer noch nicht mit dem Gedanken abfand. Sicherlich entsprang es weiblicher Schwäche, wenn ihr das Wesen einer Seelenwanderung kaum begreiflich blieb.
    Titus war ihr Sohn - und zur selben Zeit lag in der Fulvischen Gruft ihr Sohn Titus. Weshalb grämte sie sich jetzt noch über diesen Widerspruch? Doch würde je ein Priester ihre dumpfen Zweifel vollends beseitigen können?
    Wohl nicht. Allzugut kannte sie diese Leute. Kaum einer glaubte wirklich an die Götter, denen er diente. Wahrscheinlich hatten sie damals ebenso ratlos vor dem unbegreiflichen Wunder gestanden und sich lediglich den Anschein überlegener Weisheit gegeben.
    Lucius glaubte tief und unerschütterlich - aber natürlich an die Götter und nicht an deren Diener. Offensichtlich, daß er recht daran tat, denn das Wunder war wahr geworden. Und dennoch...! Calpurnia vergrub den Kopf in den Händen und zerstörte dabei das kunstvolle Werk der Frisiersklavin.
    Unauslöschbar war die Erinnerung an jene Tage geblieben: In Tränen aufgelöst saß sie hier, zwei Monate nach dem jähen Tod des Jungen. Dann Lucius' Brief aus dem fernen Tarraco! Und später es war Titus! Nur allzu genau hatte sie hingeschaut. Kann man eine Mutter betrügen? Jeder Zug im Gesicht, das Haar, die Augen: Unzweifelhaft er - auferstanden, wiewohl sein Leichnam...
    Auch später hatte sich der Junge als ihr Sohn erwiesen. Freilich verging manche Woche, mancher Monat, bis er jeden erkannte. Nicht rasch faßt eine Seele Fuß in einem anderen Leib. Calpurnia wußte, seine Stimme klang etwas anders als vordem, nicht ganz so klar. Das war der einzige Unterschied für ihre forschenden Augen und Ohren geblieben, und stets aufs Neue tadelte sie sich, dem Götterspruch derart zu mißtrauen.
    Wäre Lucius hier - er würde sie rügen, vielleicht auch lächeln. Aber der befand sich in der fernsten Provinz. Daß ihm seine Aufgaben als Senator so ernst waren! Konnte er nicht wie andere auch ausruhen und den subalternen Beamten die lästigen Reisen überlassen?
    „Lucius Fulvius Flaccus führt aus, was seine Pflicht ist, und wenn er es als einziger täte!" Das waren seine Worte, als sie einmal sanft dieses Thema berührte. Gewiß, er hatte recht...
    Sie hob den Kopf und schaute ziellos in die grüne Wildnis des Gartens. So weit war es bis zur nächsten Villa, daß Bäume und Büsche den Blick hemmten. Calpurnia fühlte sich allein gelassen. Mit wem sollte sie reden? Etwa mit den Sklaven? Lucius befand sich auf Reisen, Titus im Krieg. Falls ihm die Götter wohlwollten... Es sah so aus, als ob sie ihn liebten. Hätten sie sonst seiner schweifenden Seele einen zweiten Körper gegeben?
    Calpurnia sorgte sich dennoch. Galt das nicht als Beweis, daß der Junge von ihrem Blut war? Doch sie wußte auch mit seltsamer Gewißheit: Fiel er im Kampf, sie würde kein zweites Mal trostlos weinen. Er war Titus, aber nicht ihr Titus. Mochten die Priester sagen, was immer sie wollten!
    Schatten der Sorge zogen über den blühenden Garten, denn in Iberien herrschte ein grausamer, brutaler Krieg. Niemand wußte, ob der wetterwendische Mars gnädig oder tückisch herabsah.
    „Spar dir dein Lamento und halt den Mund!
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