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Das goldene Bett/Aphrodite ist an allem schuld

Das goldene Bett/Aphrodite ist an allem schuld

Titel: Das goldene Bett/Aphrodite ist an allem schuld
Autoren: S. Fischer-Fabian
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schnell,
»ich heiße Branka.«
    »Na schön«, sagte er und
lächelte sie an. Das Lächeln veränderte sein Gesicht auf eine geheimnisvolle
Weise. Es lag in den Falten seiner Augen, unter den langen Wimpern, in den
leicht nach unten gekerbten Mundwinkeln. Ein Glanz war plötzlich um ihn, ein
Leuchten ging von ihm aus. Das Mädchen starrte ihn wie gebannt an. Sie mußte an
Elektrizität denken und spürte, wie ihre Knie nachgaben.
    »Wo darf ich Sie abliefern?«
fragte Philipp sachlich. Sie schlingerten durch die schmalen Gänge, stiegen
über Koffer und öffneten Schiebetüren. Fremde Gesichter blickten auf. In den
Ziehharmonikas, die die Wagen verbanden, tobte der Lärm der Räder. Vor der Tür
seines Schlafwagencoupes blieb er stehen. »Hier bin ich zu Hause«, sagte er.
»Und Sie?« Sie zeigte mit dem Finger in Richtung Lok. »Dort! Ich habe kein Bett
mehr bekommen.«
    »Dann wollen wir«, sagte er und
wollte sie sacht weiterschieben. Irgend etwas fiel zu Boden. Er bückte sich. Es
war der mittlere Knopf seines Jacketts.
    »Zu dumm«, sagte er und spielte
unschlüssig mit dem Knopf.
    »Haben Sie Nähzeug dabei?«
fragte sie. Er bejahte. Sie öffnete sofort die Tür zu seinem Abteil. Er hatte
das obere Bett mitbezahlt. Später holte er ihren Koffer...
    Philipp drückte auf das Rädchen
seines elektrischen Rasierapparates. Das Brummen erstarb. Er wusch mit
Kölnisch-Wasser nach. Es brannte angenehm auf der Haut. Er schlüpfte in seine
Jacke und schob die Jalousie hoch. Draußen war es hell geworden. Zwischen
blühenden Bäumen leuchteten rote Dächer. Die Sonne schob sich über die dunklen
Waldberge. Der Zug fuhr jetzt langsam.
    »Ich mag den Morgen nicht«,
sagte das Mädchen im unteren Bett. Sie räkelte sich verschlafen.
    Er setzte sich zu ihr, strich
ihr über das Gesicht und hatte sie bereits vergessen. Urplötzlich hielt der
Zug.
    »Heidelberg!« tönte eine
Stimme. »Hei — del — berg!« Philipp Engel nahm Mantel, Hut und seine beiden
Koffer. Er drückte einen Kuß auf die schwarzen Haare und verließ das Abteil.
     
    Philipp Engel liebte Friedhöfe.
Er liebte den modrigen Duft verwelkter Kränze, das Rascheln der Seidenschleifen
im Wind, die Inschriften auf verwitterten Steinen. Er kannte die Friedhöfe in
den großen Metropolen Amerikas und Europas so genau wie andere Leute die
Nachtklubs. Ein Novembermorgen auf dem Père Lachaise, über den Dächern von
Paris, an den Gräbern Chopins, Balzacs, Oscar Wildes; der Kiefernhügel am
Kleinen Wannsee zu Berlin, dessen Erde den Dichter Kleist barg; der Grabstein
raunte: »Nun, o Unsterblichkeit, bist du ganz mein.« Philipp genoß so etwas
geradezu. Es war die Lust am Untergang, das köstliche Gefühl, noch atmen zu
dürfen, der Schauer vor dem Unausweichlichen.
    Er schritt die breite
Hauptallee des Bergfriedhofs entlang und pfiff sich eins. Der Flieder blühte.
Die Vögel zwitscherten. Die Morgensonne brach durch die Blätter der Buchen. Er
hatte das Grab mit der Nummer 628 b bald gefunden. Der Grabstein war schwarz und
glänzte wie ein Lackstiefel. Goldene Lettern verkündeten, daß hier der Amtmann
a. D. Friedrich Werner Engel ruhte.
    Philipp versuchte erschüttert
zu sein. Er hielt den Hut in der Hand und starrte auf die grüne Blechvase mit
den vertrockneten Maiglöckchen. Es hatte eine Zeit gegeben, in der er seinen
Vater gehaßt hatte. Den Mann, der aus Sicherheitsgründen Hosenträger und Gürtel
trug, der nach dem Essen rülpste und der Mutter tagtäglich »Verschwendung«
vorwarf, der zu Philipp sagte: »Halte dich gerade!« und bei der sonntäglichen
Zeitungslektüre die Meinung vertrat: »Die sollten noch viel schärfer
durchgreifen.«
    Vergessen, vergeben...
    Philipp setzte sich auf die
Bank aus falschem Marmor. Er holte das Telegramm heraus, das ihm seine Mutter
nach Amerika geschickt hatte. Es hatte drei Monate gedauert, bis das Telegramm
ihn in Santa Fe erreichte. Der Kellner hatte es ihm auf silbernem Tablett in
das Clubzimmer des »Don Pedro de Peralta« gebracht. Er hatte dort seit achtzehn
Stunden mit zwei Mexikanern beim Poker gesessen. Mit einer sagenhaften Strähne
übrigens. Er hatte den Brief gelesen, die 4 000 Dollar in die Tasche gestopft
und den Señores ein »Vaya con dios!«, ein Lebewohl, gewünscht.
    Er war in den fünften Stock
hinaufgefahren und in das Appartement 511 gegangen. Durch die Tür des
Badezimmers war Carmencitas perlender Sopran gedrungen. Wie üblich sang sie in
der Wanne. Er hatte sich an den kleinen Sekretär
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