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Das göttliche Mädchen - Carter, A: Das göttliche Mädchen

Das göttliche Mädchen - Carter, A: Das göttliche Mädchen

Titel: Das göttliche Mädchen - Carter, A: Das göttliche Mädchen
Autoren: Aimée Carter
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sie verließ, fragen musste, ob es das letzte Mal war, dass ich sie lebend sah. In dieser Nacht würde ich mir das ersparen. „Okay.“
    Ich krabbelte neben sie ins Bett und sah nach, ob sie auch gut zugedeckt war, bevor ich mir ein Stück der Decke über die Beine zog. Als ich sicher war, dass sie es warm hatte, umarmte ich Mom und sog ihren vertrauten Duft in mich auf. Selbst nach Jahren stetig wiederkehrender Krankenhausbesuche roch sie immer noch nach Äpfeln und Freesien. Sie gab mir einen Kuss auf den Scheitel, und ich schloss die Augen, bevor mir die Tränen kamen.
    „Ich hab dich lieb“, murmelte ich. So gern hätte ich sie fest gedrückt, doch ich wusste, ihr Körper hielt das nicht aus.
    „Ich liebe dich auch, Kate“, sagte sie leise. „Morgen früh bin ich genau hier, versprochen.“
    Sosehr ich mir das auch wünschte, so wusste ich doch – das war ein Versprechen, das sie nicht mehr lange würde halten können.
    In dieser Nacht waren meine Albträume unerbittlich, voll von Kühen mit roten Augen, Flüssen aus Blut und Wasser, das um mich herum stieg, bis ich keuchend aufwachte. Ich schob die Decke weg und wischte mir die feuchte Stirn, besorgt, ich könnte meine Mutter geweckt haben, doch sie schlief immer noch.
    Trotz der unruhigen Nacht konnte ich am nächsten Tag nicht zu Hause bleiben. Es war mein erster Tag an der Eden High –einem Backsteinbau, der eher einer großen Scheune als einer Schule ähnelte. Aber es gab auch kaum genug Schüler, dass sich die Mühe gelohnt hätte, überhaupt eine Schule zu bauen – geschweige denn, sie am Laufen zu halten. Mich hier anzumelden war die Idee meiner Mutter gewesen. Nachdem ich mein letztes Schuljahr ausgelassen hatte, um sie zu pflegen, war sie fest entschlossen, dafür zu sorgen, dass ich meinen Abschluss machte.
    Zwei Minuten nach dem Klingeln fuhr ich auf den Parkplatz. Am Morgen war es Mom schlechter gegangen. Und ich traute der Krankenschwester, einer rundlichen, mütterlichen Frau namens Sofia, nicht zu, sich ausreichend um sie zu kümmern. Nicht, dass an ihr irgendetwas bedrohlich gewirkt hätte. Aber ich hatte den größten Teil der vergangenen vier Jahre damit verbracht, für meine Mutter zu sorgen, und wenn es nach mir ging, konnte das niemand so gut wie ich. Fast hätte ich geschwänzt, um bei ihr zu bleiben. Doch meine Mutter hatte darauf bestanden, dass ich hinging. Jetzt war ich zu spät dran.
    Wenigstens war ich nicht allein auf meinem Spießrutenlauf über den Parkplatz. Auf halbem Weg zum Eingang bemerkte ich einen Jungen, der hinter mir ging. Er sah nicht alt genug aus, um fahren zu dürfen, und das weißblonde Haar stand fast so sehr ab wie seine übergroßen Ohren. Nach seinem fröhlichen Gesichtsausdruck zu schließen, kümmerte ihn überhaupt nicht, dass er zu spät war.
    Er beeilte sich, vor mir zur Eingangstür zu kommen, und zu meiner großen Überraschung hielt er sie mir auf. In meiner alten Schule hatte es nicht einen Kerl gegeben, der so was gemacht hätte.
    „Nach Ihnen, Mademoiselle.“
    Mademoiselle? Ich starrte zu Boden, damit ich ihm keinen schiefen Blick zuwarf. Nicht nötig, gleich am ersten Tag unhöf-lich zu sein.
    „Danke“, murmelte ich, ging hinein und legte einen Schritt zu. Allerdings war er größer als ich, deshalb hatte er mich in null Komma nichts eingeholt. Zu meinem Entsetzen passte er sich meinem Tempo an, statt einfach an mir vorbeizugehen.
    „Kenn ich dich?“
    Oh Gott. Erwartete er darauf eine Antwort? Glücklicher-weise sah es nicht danach aus, denn er ließ mir keine Zeit, etwas zu erwidern.
    „Ich kenn dich nicht.“
    Direkt vor dem Sekretariat drehte er sich um und versperrte mir den Weg. Erwartungsvoll sah er mich an und streckte mir die Hand entgegen. „Ich bin James.“
    Endlich sah ich sein Gesicht richtig. Er wirkte immer noch jungenhaft, aber vielleicht war er doch älter, als ich zunächst geglaubt hatte. Seine Züge waren kantiger, reifer, als ich erwartet hatte.
    „James McDuffy. Wag es zu lachen, und ich bin gezwungen, dich auf ewig zu hassen.“
    Da ich keinen anderen Ausweg sah, zwang ich mich zu einem kleinen Lächeln und ergriff seine Hand. „Kate Winters.“
    Er starrte mich etwas länger an, als notwendig gewesen wäre, ein dümmliches Grinsen im Gesicht. Als die Sekunden verstrichen, trat ich unbehaglich von einem Fuß auf den anderen und räusperte mich schließlich. „Äh – könntest du vielleicht …?“
    „Was? Oh.“ James ließ meine Hand los und öffnete
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