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Das göttliche Mädchen - Carter, A: Das göttliche Mädchen

Das göttliche Mädchen - Carter, A: Das göttliche Mädchen

Titel: Das göttliche Mädchen - Carter, A: Das göttliche Mädchen
Autoren: Aimée Carter
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Aber du weißt genauso gut wie ich, dass unsere Regeln streng sind. Ungeachtet der Umstände sind sie immer zu befolgen.“
    Henry seufzte, und etwas in mir zerbrach. Er sah genauso am Boden zerstört aus, wie ich mich fühlte. Offen zeigte er seinen Schmerz. Doch erst ein Blick in mein Gesicht offenbarte seine wahre Qual. Seine Augen waren umwölkt von Elend, und schon jetzt erkannte ich, wie er sich zurückzog. Meinetwegen hatte er es versucht, und meine Schuld war es, dass er jetzt so aussah. Meinetwegen erlitt er so grausame Qualen.
    „Nein“, platzte ich heraus. „Das hat Henry nicht verdient. Calliope hat gesagt, dass es ihre Schuld war und dass sie es absichtlich getan hat. Das sollte nicht zählen. Es kann nicht zählen.“
    „Ich fürchte, das liegt nicht in deiner Hand.“ Wieder runzelte Walter die Stirn, und wider besseres Wissen starrte ich ihn wü-tend an.
    „Er ist euer Bruder, und wenn ihr das tut, wird er sterben oder … oder vergehen … oder was auch immer es ist. Es ist mir egal, wie streng eure Regeln sind. Wenn ihr ihn auch nur halb so sehr liebt wie ich, verstehe ich nicht, warum ihr nicht einseht, dass das nicht fair ist.“
    „Es geht nicht immer um Fairness.“ Walter sprach sanfter, als ich erwartet hatte, und sein Gesichtsausdruck war seltsam mitfühlend. „Trotz aller gegenteiligen Beweise …“, er blickte zuAva, die die Augen verdrehte, „ist Wollust etwas, das wir nicht tolerieren.“
    „Aber das war keine Wollust!“ Unbedacht versuchte ich aufzustehen, und Schmerz explodierte in meiner Brust, doch ich weigerte mich, es so enden zu lassen. „Ich habe mich nicht der Wollust schuldig gemacht, denn ich liebe ihn. Ihr könnt mir nicht etwas vorwerfen, das ich nicht getan habe. Nicht wenn das bedeutet, dass Henry dafür sterben wird. Alles andere, meinetwegen – macht mit mir, was immer ihr wollt, es ist mir egal. Aber tut Henry das nicht an.“ Tränen vernebelten mir die Sicht. „Bitte. Ich bitte euch!“
    „Kate“, sagte Henry. Sein Gesicht war angespannt, und seine Schultern wirkten verkrampft, als müsste er hart darum kämpfen, zu bleiben, wo er war. „Es ist in Ordnung.“
    „Nein, ist es nicht. Es ist nicht fair.“
    „Katherine“, warf Walter ein. „Du behauptest, du würdest alles tun, und doch machst du nicht das eine, um das wir dich bitten.“
    „Was?“ Mit dem Ärmel meines Kleids wischte ich mir die Wangen ab.
    „Akzeptierst du dein Versagen und seine Konsequenzen?“
    Nein, natürlich nicht. Das alles war ein grausamer Scherz, hatte nicht das Geringste mit Gerechtigkeit zu tun. Endlich hatten Henry und ich eine Chance gehabt, glücklich zu werden, und jetzt hatten wir sie beide verloren. Ich konnte Henry nicht ins Gesicht sehen, geschweige denn in die der anderen um mich herum. Ihre Enttäuschung würde ich nicht ertragen können.
    „Ich akzeptiere, dass der Rat entschieden hat, mich versagen zu lassen, ja“, brachte ich erstickt hervor. „Und ich verstehe, was das bedeutet.“ Offenbar besser als sie alle. „Aber ich finde es nicht fair, dass ihr Henry das antut, und wenn es irgendetwas gibt, das ich tun kann, um eure Meinung zu ändern, werde ich es tun.“
    Walter betrachtete mich, und etwas so Einschüchterndes ging von ihm aus, dass ich mich fragte, ob er mich gleich zerschmettern würde – oder was auch immer Götter mit Leuten machten, die ihnen nicht passten.
    „Du hast versagt, Katherine. Es gibt nichts, das du sagen könn-test, um diese Tatsache zu ändern.“
    Hektisch blinzelte ich mehrmals und versuchte, mich zusammenzureißen. Ich wollte nicht, dass Henrys letzte Erinnerungen an mich so aussahen. Mit einer vorsichtigen Drehung auf meinem Hocker, damit ich ihn ansehen konnte, rang ich mir ein klägli-ches „Es tut mir leid“ ab.
    Er sah mir nicht in die Augen, und ich konnte ihm keinen Vorwurf daraus machen. Ich hatte versagt, und jetzt musste er darunter leiden.
    Um mich herum schien der Raum immer enger zu werden, während mein Versagen Schlag um Schlag auf mich niederprasselte. Schwankend zwischen Wut und Verzweiflung, wünschte ich mir mehr als alles andere auf der Welt, ich könnte die Zeit zurückdrehen bis zu jener Nacht, um es zu verhindern. Henry verdiente so viel mehr als das, und ich konnte es ihm nicht geben, sosehr ich es auch wollte.
    Die Stille schien im Ballsaal widerzuhallen, als sich niemand regte oder ein Wort sagte. Es vergingen nur Sekunden, doch es fühlte sich an wie eine Stunde. Während sich bittere
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