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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1
Autoren: Émile Zola
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Erregung des Abschieds erfüllt, und es schien ihnen, als könnten sie nie die Süße und Bitterkeit dieses Schweigens auskosten, das langsam ihre Schritte wiegte. Bald wurden die Häuser seltener: die beiden waren an den Rand der Vorstadt gelangt. Hier öffnet sich das Eingangstor zum JasMeiffren: zwei starke Pfeiler, verbunden durch ein eisernes Gitter, zwischen dessen Stäben hindurch man eine lange Allee von Maulbeerbäumen sieht. Beim Vorübergehen warfen Silvère und Miette unwillkürlich einen Blick in das Anwesen.
    Hinter dem JasMeiffren senkt sich die Landstraße ganz allmählich bis zu einer Talsohle, die einem kleinen Fluß, der Viorne – ein Bächlein im Sommer, im Winter ein reißender Strom –, als Bett diente. Damals liefen die beiden Ulmenreihen hier noch weiter und machten aus der Straße eine herrliche Allee, die den mit Getreide und dürftigen Reben bebauten Hang mit einem breiten Band riesiger Bäume durchschnitt. In dieser Dezembernacht breiteten sich die frisch bearbeiteten Felder zu beiden Seiten des Weges unter dem klaren, kalten Mond wie unermeßliche, grauweiße Watteschichten aus, in denen jeder Laut erstirbt. Nur die ferne, dumpfe Stimme der Viorne brachte einen Schauer in den unendlichen Frieden der Fluren.
    Als die jungen Leute die Straße talabwärts einschlugen, kehrten Miettes Gedanken zum JasMeiffren zurück, den sie eben hinter sich gelassen hatten.
    »Ich habe große Mühe gehabt, heute abend loszukommen«, erzählte sie. »Mein Onkel wollte mich durchaus nicht weglassen. Er hatte sich in einen Keller eingeschlossen, und ich glaube, er hat dort sein Geld vergraben, denn heute morgen schien er sehr bestürzt wegen der vielleicht eintretenden Ereignisse.«
    Silvère zog sie enger an sich.
    »Laß nur«, entgegnete er, »und sei tapfer! Es wird eine Zeit kommen, wo wir uns den ganzen Tag über ungehindert sehen können … Gräm dich nicht.«
    »Ach«, sagte das junge Mädchen und schüttelte den Kopf, »du … du hast Hoffnung … Ich bin an manchen Tagen ganz niedergeschlagen. Was mich unglücklich macht, ist nicht die harte Arbeit. Im Gegenteil, oft bin ich froh über die Strenge meines Onkels und über die Pflichten, die er mir auferlegt. Er hat recht daran getan, eine Bäuerin aus mir zu machen, sonst wäre es vielleicht schlecht mit mir ausgegangen. Denn, siehst du, Silvère, zuweilen halte ich mich für verflucht … Dann möchte ich lieber tot sein … Ich denke an … Du weißt ja …«
    Bei den letzten Worten brach sich die Stimme des jungen Mädchens in einem Schluchzen.
    Silvère fiel ihr mit fast rauhem Ton in die Rede.
    »Schweig!« gebot er. »Du hattest mir versprochen, nicht soviel daran zu denken. Es ist nicht deine Schuld.« Dann fügte er weicher hinzu: »Wir haben einander doch lieb, nicht wahr? Wenn wir erst verheiratet sind, wirst du keine bösen Stunden mehr haben.«
    »Ich weiß«, murmelte Miette, »du bist gut, du streckst mir die Hand hin. Aber es ist nun einmal so, ich habe Angst, ich lehne mich manchmal innerlich auf. Es kommt mir so vor, als habe man mir Unrecht getan, und da packt mich die Lust, böse zu sein. Dir schließe ich mein Herz auf. Jedesmal, wenn man mir den Namen meines Vaters ins Gesicht schleudert, läuft mir ein Brennen durch den ganzen Körper. Wenn ich über die Straße gehe und mir die Jungen nachschrein: ›Seht! Da geht die Chantegreil!‹, gerate ich ganz außer mir, ich möchte sie packen und sie verprügeln.« Und nach einem scheuen Schweigen fing sie wieder an: »Du, du bist ein Mann, du darfst schießen … Du hast es gut!«
    Silvère hatte sie ausreden lassen. Nach einigen Schritten erwiderte er traurig:
    »Du hast unrecht, Miette, dein Zorn ist nicht gut. Man darf sich nicht gegen Recht und Gesetz auflehnen. Ich ziehe in den Kampf für unser aller Recht, ich habe keinerlei Rachegefühle zu befriedigen.«
    »Trotzdem«, fuhr das junge Mädchen fort, »möchte ich ein Mann sein und schießen. Ich meine, das müßte mir guttun.« Als Silvère weiterhin schwieg, merkte sie, daß sie ihn verstimmt hatte. Ihre Erregung ließ sofort nach. Mit flehender Stimme stammelte sie: »Du bist mir doch nicht böse? Es ist ja nur dein Fortgehen, was mir Kummer macht und mich auf diese Gedanken bringt. Ich weiß ja, daß du recht hast und daß ich mich bescheiden muß …« Sie fing an zu weinen.
    Silvère war ergriffen, er nahm ihre Hände und küßte sie.
    »Sieh doch«, sprach er zärtlich, »aus dem Zorn kommst du ins Weinen, wie ein Kind!
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