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Das gläserne Tor

Titel: Das gläserne Tor
Autoren: Sabine Wassermann
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Pfaueninsel gekommen? Hatten sie wirklich dort gelebt? Gab es ein Gräberfeld? Oder hatte ihr Vater recht, und dort war außer diesem einen Grab nichts zu finden? Unendlich viele Fragen warf dieser Schmuck auf, und unendlich viele Träume.
    »Grazia, du hörst ja gar nicht zu. Ich sagte, ich sähe dich gerne damit photographiert. Deshalb habe ich den Photographen herbestellt. Dich in sein Atelier zu begeben, wäre dir derzeit nicht zuzumuten. Deinen Vater habe ich schon gefragt. Er erlaubt es.«
    Die Mutter schürzte die Lippen. »Damit behängt, wirst du aussehen wie ein Mädchen vom Varieté. Aber gut, dein Vater hat ja offensichtlich nichts dagegen.«
    Dieser hob nur die Brauen. Ein wenig ärgerte es Grazia, dass man ihr nicht zutraute, den Weg ins Atelier zurückzulegen. Weder war sie bettlägerig noch unfähig zu laufen. Und gefragt, ob sie sich überhaupt mit diesem Schmuck ablichten lassen wollte, hatte Friedrich sie auch nicht. Ihr war danach zu schmollen.
    Aber dann überwog der Stolz, als er ihr das Geschmeide um den Hals legte. Die Perlenschnüre reichten bis zum Ansatz ihrer unter dem weißen Sommerkleid wohlverschnürten Brüste. Ob die Frau, die einstmals Besitzerin dieses Schmucks gewesen war, ihn auf die gleiche Art getragen
hatte? Oder ganz anders? Dies würde wohl für immer ein Rätsel bleiben.
    An dem Reif hing ein schmales Kettchen. Wofür es gut war, begriff sie erst, als Friedrich es ihr um die Ohrmuschel legte. Der Reif pendelte gegen ihren Hals – uraltes Gold berührte sie, voller Geheimnisse.
    »Sie werden hier doch nicht mit diesem schrecklichen Blitzlichtpulver arbeiten?«, wandte sich die Mutter an den Photographen.
    »Gnä’ Frau, det jibt bloß harte Schatten, nee, nee. Det Fräulein Tochter möge sich ant Fenster stellen. Wird zwar nich so jut wie in mein Atelier, aber det jeht schon. Wenn Se so freundlich wären und een Betttuch holen täten?«
    Sie sog pikiert den Atem ein. »Ein Bettlaken? Du lieber Himmel. Justus, sag Adele, sie soll eins bringen.«
    Sofort stob der Junge aus dem Salon. Der Photograph richtete seine Kamera zum Fenster hin aus, wo eine mannshohe Geigenfeige stand. »Det Kolonienjewächs im Hinterjrund sieht schön exotisch aus. Wissense, det ick als Lehrbub noch det Palmenhaus auf der Pfaueninsel abjelichtet hab? Da jab et Pflanzen, die warn viermal so hoch wie det hier.«
    »Die Pfaueninsel ist in jeder Hinsicht ein kleines Wunder«, sagte Friedrich und nahm Adele, die herangelaufen kam, das Laken aus der Hand. Der Photograph wies Friedrich an, sich gegenüber dem Fenster hinzustellen und das Laken hochzuhalten. Grazia lehnte sich ans Fensterbrett, legte eine Hand darauf und ließ die andere herabhängen. In diesem Moment kam sie sich sehr mondän vor, und mit jeder Aufnahme wurde sie mutiger, bis sie gar mit halb geschlossenen Lidern aus dem Fenster blickte, während sie die Brust herausdrückte und den Rock mit beiden Händen raffte, sodass ihre Fesseln hervorblitzten. Gut nur, dachte sie, dass das Laken mich vor Mutters Blick schützt. Ob diese Photographien auch in einem Buch
erscheinen würden? Oder in einer Zeitschrift? Das hielt sie für unwahrscheinlich, dennoch genoss sie die Aufmerksamkeit. In diesem Augenblick fühlte sie sich schön.
    Schließlich nahm der Photograph das Tuch ab und verstaute Kamera, Stativ und die belichteten Magazine in seinen Koffern.
    »Na, so een hübschet Motiv möchte man öfter vor de Linse kriejen. Da werd ick mir jleich dransetzen und de Bilder entwickeln, Herr Mittenzwey. Werte Damen?« Er schlug die Hacken zusammen, machte einen Diener und setzte schwungvoll die Mütze auf. Der Salon leerte sich, als die Eltern ihn hinausbegleiteten und Justus und Adele anwiesen, beim Tragen zu helfen. Friedrich ging zu Grazia, um ihr den Schmuck abzunehmen. Seine warmen Finger nestelten lange in ihrem Nacken, bis es ihm gelang, den Haken zu öffnen.
    »Morgen sehe ich auf der Insel nach dem Rechten.« Sorgfältig verstaute er das Collier in seinem Kasten. »Eventuell ist der Boden ja wieder etwas abgetrocknet und ich finde das Gegenstück hierzu.« Er nahm ihr den Ohrring ab und legte ihn dazu.
    »Darf ich mit?«
    »Nein, mein Fräulein. Du brauchst noch Ruhe.«
    »Ach, Friedrich. Es geht mir gut. Ich möchte doch so gerne wissen, wie das Grab inzwischen aussieht.«
    »Nein.«
    »Aber ich …«
    »Nein.« Hart schlug er den Deckel herunter. Die plötzliche Strenge in seiner Stimme überraschte sie. »Ich will nicht, dass so etwas … so
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