Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gift der Schmetterlinge (German Edition)

Das Gift der Schmetterlinge (German Edition)

Titel: Das Gift der Schmetterlinge (German Edition)
Autoren: F.E. Higgins
Vom Netzwerk:
spürbar enttäuscht. Alles hatte darauf hingedeutet, dass ihre Garderobe einzigartig in ihrer Pracht sein werde … Konnte das nun wirklich alles sein? Nach diesem ganzen Wirbel?
    Scheinbar unbeeindruckt von dieser Wirkung, begrüßte Lady Mandible ihre Gäste mit einem Nicken und einem schwachen Lächeln, dann nahm sie ihren Platz in der Mitte der Tafel auf einem der erwähnten thronartigen Sessel ein, die sie speziell für diesen Anlass bestellt hatte. Alle Blicke richteten sich nun wieder auf die Tür, in Erwartung ihres Gemahls. Und ausnahmsweise enttäuschte er einmal nicht. Im Gegenteil, an diesem Abend stellte Lord Mandible seine Frau sogar in den Schatten.
    Und wie gelang ihm das? Was war so großartig an seinem Auftritt? Lag es daran, dass er zu Pferd in den Speisesaal kam? Natürlich trug das dazu bei, die Aufmerksamkeit der Gäste auf sich zu ziehen. Oder war es vielleicht seine Aufmachung? Er hatte sich nämlich für das Kostüm eines urzeitlichen Jägers entschieden und trug ein mächtiges Bärenfell um die Schultern und einen gehörnten Helm auf dem Kopf.
    Am Ende war es nichts von alledem, was ihm so große Aufmerksamkeit verschaffte, am Ende war es das, was ihm auf dem Fuß folgte: ein Borstenrückenschwein auf einer Silberplatte – das größte, das man je gesehen hatte –, von sechs Dienern hoch über ihren Köpfen getragen. Bei seinem Anblick erhielt Lord Mandible stehende Ovationen. Eine Reaktion, die gewiss gerechtfertigt war. Das Schwein, dessen Kruste vom Braten noch zischte und brutzelte und von Honig glänzte, lag auf einem Bett aus goldfarbenen Efeublättern. Ein verblüffter Ausdruck stand auf seinem länglichen Gesicht, als wundere es sich noch im Tode, dass es hier gelandet war. Auf den Spitzen seiner unteren, gekrümmten Reißzähne steckte je ein großer goldgelber Apfel (Lord Mandibles Idee) und auf dem Kopf hatte es eine glitzernde Tiara (ebenfalls Mandibles Idee). An seinen Seiten hatte man gebratene Ferkel angerichtet mit lebenden Drosseln in den Mäulern, die nun ihrem Gefängnis entflohen, zur Speisesaaldecke emporflatterten und sich dort niederließen. Einige Gäste wirkten darüber ein wenig irritiert, besonders dann, wenn sie ab und zu einem überraschenden Spritzer ausweichen mussten. Doch sich zu beschweren wagte keiner.
    Die Diener setzten die Platte vorsichtig auf einem bereitgestellten Ständer am Ende der Tafel ab, wo sie von allen gesehen wurde. Lord Mandible stieg vom Pferd und nahm auf dem Thronsessel neben seiner Frau Platz. Wieder wurde gejubelt und applaudiert, und es herrschte allgemeiner Lärm, bis er mit erhobener Hand um Aufmerksamkeit bat. Es war bekannt, dass Lord Mandible in der Vergangenheit das Mittwinterfest eher als lästige Pflicht aufgefasst hatte, aber sein Sieg über das Borstenrückenschwein hatte seine Einstellung sichtlich verändert – er wollte anscheinend eine Rede halten.
    Hector entging jedoch nicht, dass Lady Mandible das Ganze schweigend beobachtete. Das war ganz und gar nicht typisch für sie und Hector wurde misstrauisch. Wo blieben die Schmetterlinge? Seine gereizten Nerven konnten die Spannung kaum mehr ertragen. Es wurde Zeit, dass sie damit herausrückte.
    »Meine lieben Gäste«, verkündete Lord Mandible, »es ist mir ein großes Vergnügen, euch alle zum diesjährigen Mittwinterfest in Withypitts Hall zu begrüßen. Ein noch größeres Vergnügen ist es mir allerdings, euch heute Abend das schönste Exemplar eines Borstenrückenschweins präsentieren zu können, das man je gesehen hat. Ich habe es eigenhändig erlegt.« Ein großes Hurra erscholl, man stieß Kelche und Gläser aneinander, und es dauerte mehrere Minuten, bevor es wieder so still war, dass Mandible weitersprechen konnte.
    »Nun denn«, rief er zuletzt mit leuchtenden Augen, »lasst uns das Festmahl beginnen!«
    Und sie legten los, als hätten sie gerade eine monatelange Hungersnot hinter sich. Das Schwein wurde zerlegt und schon bald hörte man im ganzen Speisesaal nur noch Kauen, Nagen und Schmatzen. Das Fleisch war in der Mitte noch nicht richtig durchgebraten, da man das Schwein erst so spät am Tag gebracht hatte, aber die Gäste bemerkten es gar nicht. Weitere Platten wurden aufgetragen, von sonderbaren Fischgerichten bis hin zu hoch aufgetürmten Bergen von Törtchen und Honigkuchen. Als Lord Mandible aufstand und an seinen Weinkelch klopfte, um die Gäste um ihre Aufmerksamkeit zu bitten, war es längst nicht mehr der Tisch, der ächzte, sondern es
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher