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Das Gift der alten Heimat

Das Gift der alten Heimat

Titel: Das Gift der alten Heimat
Autoren: Heinz G. Konsalik
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zu haben.
    »Natürlich!« stieß er hervor. »Er hätte Sie auch fragen müssen!«
    »Entweder uns beide«, rollte Nancy den Fall auf. »Oder – wenn nur einen – nicht Sie, sondern mich! Ladies first!«
    »Natürlich!« meinte John noch einmal. Sein Blick wurde hart und suchte den Kapitän, der ein paar Tische weiter einige Worte mit einem pensionierten britischen Kolonialbeamten wechselte. »Ich werde ihm das klarmachen!«
    Nancy schüttelte jedoch den Kopf.
    »Nein, John!«
    »Warum nicht?«
    »Sie sollen sich nicht wegen mir mit dem anlegen. Er ist der Kapitän. Kapitäne sind auf ihren Schiffen Götter. Lassen Sie ihn.«
    John hatte plötzlich die Lust am Essen verloren, stocherte in seinem Teller herum und schwor sich, in Zukunft seine Augen offener zu halten, um an Ort und Stelle sofort einzugreifen, wenn Anlaß dazu bestand. Das Problem war aber, daß John Miller sich schwertat, solche Verstöße gegen die Etikette zu erkennen, weil es ihm schon in Fleisch und Blut übergegangen war, daß überall, wo er auftrat und erkannt wurde, jedermann ihn in den Vordergrund rückte. Ob Kapitän oder Steward – auf dem Bauch lagen alle vor ihm.
    Nancy Moosrainer wußte nicht, wer er war. Eine Ahnung von seiner Bedeutung beschlich sie aber bald, als sie wiederholt miterlebte, daß ihm sogar während des Essens Telegramme auf den Tisch gelegt wurden. Auch ans Telefon rief man ihn zweimal, so daß sie ihn schließlich fragte: »Was sind Sie für ein Mister Miller, John?«
    »Wieso?« antwortete er.
    »Einem normalen Schiffspassagier wird nicht telegrafiert.«
    »Sie haben recht«, sagte er. »Das ist lästig. Es stört mich auch. Ich werde dafür sorgen, daß alles beim Funkoffizier liegen bleibt. Man soll mir nichts mehr aushändigen.«
    »Das ändert aber nichts an der Tatsache selbst: daß man Ihnen nachtelegrafiert und nachtelefoniert. Sind Sie ein so wichtiger Mann?«
    »Ach, ich war ein paar Wochen weg und hatte angeordnet, mich mit Geschäftskram in Ruhe zu lassen. Dadurch hat sich nun einiges angestaut. Das sagte man mir, als ich anrief, bevor ich in Hamburg an Bord ging. Der Anruf war ein Fehler. Er hat sozusagen die Ventile geöffnet.«
    »Sie besitzen also eine Firma, weil Sie von ›Geschäftskram‹ sprechen?«
    »Ja.«
    »Das muß aber eine sehr große sein?«
    »Es geht.«
    Johns knappe Auskünfte genügten Nancy nicht. So läßt sich eine Frau nicht abspeisen, deren Neugier wach geworden ist.
    »Wer vertritt Sie denn, wenn Sie weg sind?« fragte Nancy.
    »Mehrere – jeder auf seinem Sektor.«
    »Das klingt ja toll! Wie viele Sektoren sind das?«
    »Elf.«
    »Elf Stellvertreter haben Sie?« staunte Nancy Moosrainer, die von Geschäften keine Ahnung hatte. Ihr Mann war Facharzt für Inneres gewesen und hatte ihr Berufliches nur erläutert, wenn sie selbst krank war.
    »Elf sind eindeutig zuviel«, grinste John. »Ich habe das längst erkannt, aber es ist nicht so einfach, einen von ihnen loszuwerden.«
    »Ob elf oder zehn«, erkannte Nancy, »das ändert an der Sache nicht viel. Sie sind jedenfalls in großem Maße auf fremde Hilfe angewiesen.«
    »Doch, das schon«, nickte John und seufzte: »Aber wer ist das nicht?«
    »Viele sind das nicht.«
    »So? Wer denn?«
    »Zum Beispiel Männer, die mit geschäftstüchtigen Frauen verheiratet sind.«
    Er sah sie an.
    »Das stimmt«, sagte er und hörte nicht auf, sie anzusehen.
    O Gott, dachte sie, was rede ich? Was glaubt der denn? Der wird doch nicht denken, daß ich auf einen Busch klopfen möchte. Eher würde ich …
    »Aber meine Frau war nie geschäftstüchtig«, hörte sie ihn sagen.
    War? dachte sie.
    »Sie interessierte sich für andere Dinge, kümmerte sich um unser Haus und um unsere Tochter«, fuhr er fort.
    »Sind Sie geschieden, John?« fragte Nancy.
    »Verwitwet.«
    »Oh«, stieß Nancy hervor, dann setzte sie rasch hinzu: »Und Ihre Tochter, was ist mit der? Ist sie noch bei Ihnen, oder hat sie schon geheiratet?«
    »Sie ist auch tot, wie ihre Mutter.«
    Nancy konnte darauf nichts sagen, sie blickte ihn mit großen Augen an.
    »Ein Flugzeugabsturz«, ergänzte er.
    Mehr noch als John selbst stand Nancy unter dem Eindruck dessen, was er ihr mitgeteilt hatte. Sie war entsetzt, bemitleidete ihn und hielt es nicht für angezeigt, rasch und gelöst wieder von angenehmen Dingen zu sprechen.
    In der darauffolgenden Nacht schlief sie unruhig. Sie hatte einen wirren Traum. Ihr Mann stürzte mit dem Flugzeug ab. Eine Amerikanerin und ihre Tochter
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