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Das Gift der alten Heimat

Das Gift der alten Heimat

Titel: Das Gift der alten Heimat
Autoren: Heinz G. Konsalik
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wollte die rauhe Schale nach innen kehren. Was aber keinem gelang, glückte auch ihm nicht.
    Als er an Bord des Riesenschiffes gegangen war und die Bordkapelle das Abschiedslied spielte, stand Johnny Miller stumm an der Reling und wischte sich über die Augen. Die Mähne seines ergrauten, jedoch immer noch dichten Haares flatterte in der Brise, die seit Jahrmillionen der Sendbote des offenen Meeres an den Küstenstrichen ist.
    Johnny Miller verfluchte sich, biß sich auf die Lippen, drehte die Augen zum Himmel und beobachtete die Möwen, die im Wind schaukelten. Ihre Schreie klangen nicht anders als die ihrer Schwestern im Hafen von New York. Und dennoch kam es Miller so vor, als ob es da Unterschiede gäbe, Unterschiede zugunsten der deutschen Meeresvögel. Er hörte das Wasser rauschen, spürte unter seinen Sohlen die ungeheure Kraft der Schiffsmaschine, die mit Tausenden von Pferdestärken dafür sorgte, daß der trennende Streifen zwischen ihm und der alten Heimat wuchs und wuchs.
    Da wandte er sich ab und ging rasch in seine Kabine. An das Bullauge gelehnt, blickte er hinaus auf die im Herbstnebel verschwimmende deutsche Küste. Noch grüßten die mächtigen Stahlarme der Kräne, noch sah er die Docks, noch wehte die deutsche Flagge an den kleinen, hupenden Schleppern.
    Und nun, da er allein war, ließ er den Tränen freien Lauf. Sie rannen ihm über die Wangen und liefen die Falten entlang wie in einem Flußbett.
    Ein alter Mann weinte.
    Er war im Herzen ein Kind geblieben.
    Unweit von ihm hatte an der Reling eine schlanke Dame gestanden, die ihn beobachtet und ihm nachgeblickt hatte, als er unter Deck gegangen war. Sie war eine gepflegte Fünfzigerin, trug elegante Kleidung. Ihr Aussehen hätte sie befähigt, im Konkurrenzkampf unter gleichaltrigen Geschlechtsgenossinnen durchaus zu bestehen, ja sogar Jüngere noch auszustechen. Sie war jedoch an einem solchen Konkurrenzkampf nicht mehr interessiert – glaubte dies jedenfalls. Es war nämlich noch nicht lange genug her, daß sie ihren Mann verloren hatte, den sie sehr geliebt hatte. Sie war ihm in jungen Jahren in ein für sie fremdes Land gefolgt.
    Der Zufall wollte es, daß diese Dame an Bord Tischnachbarin John Millers wurde. Er stellte sich ihr vor.
    »Miller«, sagte er knapp, da er nicht die Absicht hatte, den Grundstein zu einem lebhaften Gespräch zu legen. Er stand immer noch unter dem Eindruck des Abschieds von der Heimat.
    Die Dame war eine Frau Nancy Moosrainer aus Berchtesgaden. Als sie Miller ihren Namen sagte, konnte er doch nicht umhin, ein gewisses Interesse an dem Widerspruch aufzubringen, der in diesem Namen steckte. Die Sache fand dann in der Unterhaltung, die sich entwickelte, rasche Aufklärung. Nancy Moosrainer war eine geborene Nancy Woodcock aus Boston, die als Studentin einen deutschen Gastkommilitonen namens Oskar Moosrainer kennen- und liebengelernt und geheiratet hatte. Sie erzählte dies Miller. Amüsiert meinte er dazu: »Das ist gut! Sie sind eine geborene Amerikanerin, die nach Deutschland ausgewandert ist, und ich ein geborener Deutscher, der nach Amerika ging. Wann taten Sie das?«
    »Vor einunddreißig Jahren.«
    »Ich vor zweiunddreißig«, lachte Miller.
    »Genau gesagt: vor einunddreißigeinhalb«, rückte ihm Nancy quasi noch näher.
    »Haben Sie's bereut?« fragte er.
    »Nein.«
    »Ich auch nicht.«
    Nancy sah ihn an.
    »Diesen Eindruck konnte man aber heute von Ihnen nicht haben.«
    »Wann?«
    »Bei der Abfahrt des Schiffes.«
    John war es ein bißchen peinlich.
    »Sie haben mich beobachtet?«
    »Ja. Der Abschied fiel Ihnen sichtlich schwer.«
    »Na ja«, glaubte er sich entschuldigen zu müssen, »wissen Sie … die alte Heimat …«
    »Aber das ist doch verständlich«, lächelte Nancy. »Ich bin sicher, daß es mir in sechs Wochen im New Yorker Hafen nicht anders ergehen wird.«
    »Sie machen auch nur einen Besuch?«
    »Ja.«
    »War es schwierig, die Freigabe dazu von Ihrem Mann zu erhalten?«
    Nancys Gesicht verschattete sich.
    »Ich bin verwitwet«, sagte sie. »Mein Mann lebt nicht mehr.«
    »Das tut mir leid.«
    John Miller sah jetzt erst die zwei Ringe an Nancys Finger und machte sich Vorwürfe, darauf nicht eher geachtet zu haben. Ich bin ein Tölpel, dachte er.
    Es war auch so, daß Nancy eine Zeitlang brauchte, bis sie wieder munter wie vorher wurde und erkennen ließ, daß es ihre Absicht gewesen war, eine Vergnügungsreise anzutreten.
    Das Essen war ausgezeichnet, die Getränke auch, John erklärte aber,
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