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Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Titel: Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte
Autoren: Peter Orullian
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gerichtet, während er in der Glut wühlte. Die Flammen waren tief heruntergebrannt und umhüllten die Augen ihres Begleiters mit Schatten, deuteten aber durch einen roten Schimmer die dunklen Pupillen an.
    Beiläufig strich Tahn mit einer Hand über seine verborgene Manteltasche … Die Stäbe waren verschwunden. Im selben Augenblick sah er, wie ihr Führer sich bückte und sie zur Hand nahm, als wollte er damit das Feuer nähren.
    Beim Himmel und Allwillen, nein!
    Der Mann wandte den Blick nicht ab, sondern schien den Wert der Stäbe nach Tahns Gesichtsausdruck zu bemessen. Im flackernden Licht konnte Tahn sich nicht sicher sein, ob der Mann lächelte. Er versuchte, seine Furcht zu überspielen, spürte aber, wie seine Augen sich vor Panik weiteten.
    Was hatte der Mann in seinem Traum gesagt?
    Die Gedanken verschwammen in seinem Verstand, als er sich auf die Stäbe konzentrierte, in denen die Botschaften verborgen waren, die Edholm ihnen anvertraut hatte. Ihr Führer hielt sich die Stäbe vor die Augen und betrachtete sie. Dann warf er sie in die Grube, in der das Feuer bis auf eine Schicht Kohle herabgebrannt war. Die Hitze versengte sie, und Flammen loderten aus ihnen empor. Tahn fuhr von seinem Lager hoch und rammte die Hand in die Kohlen, um die Stäbe herauszuholen. Der Gestank seines eigenen brennenden Fleisches stieg mit dem Rauch auf, und das sonderbare, spöttische Lachen des Fremden umfing ihn. Sosehr er sich auch abmühte, Tahn konnte die Stäbe nicht in die Hand nehmen. Sie tanzten aus seiner Reichweite davon und zwangen ihn, sich weiter in die Flammen zu recken. Dann züngelte das Feuer an ihm empor und versengte ihn heftig, und Tahn brüllte seinen Schmerz und seine Enttäuschung zum waldigen Dach der Wildnis empor.
    Tahn setzte sich mit einem schwachen Japsen auf, das ihm aus seinem Traum gefolgt war.
    »Sei still, Eichhörnchen«, sagte Sutter. »Ich versuche, ein bisschen Schlaf zu finden.«
    Tahn drehte sich um und sah den Mann an, der sie aus Steinsberg zu den nördlichen Klippen geführt hatte. Er saß gelassen da und starrte ins Feuer, das genau wie in Tahns Traum tief herabgebrannt war. Um Unauffälligkeit bemüht, raffte Tahn seinen Mantel zusammen, so dass er sich aufsetzen konnte. Er tastete rasch nach den Stäben. Sie waren sicher in der Innentasche verstaut. Der Mann wandte sich Tahn mit einem entwaffnenden Lächeln zu; er hatte nichts mit dem verschlagenen Ränkeschmied aus Tahns Traum gemein.
    Tahn kniete sich hin, sammelte mehrere kleine Holzstücke auf und warf sie ins Feuer. Der Mann sah ihn fragend an, sagte aber nichts. Als das Feuer heller leuchtete, begann die Erinnerung an einen unvollendeten Gedanken an Tahn zu nagen. Er hatte gerade versucht, sich auf etwas zu besinnen, als sein Albtraum eingesetzt hatte.
    »Ihr schlaft unruhig. Euch geht etwas durch den Kopf«, sagte der Fremde.
    »Uns allen geht etwas durch den Kopf«, erwiderte Tahn.
    »Das ist mir auch schon aufgefallen.« Der Mann ließ den Blick nachdenklich auf Tahn ruhen. »Manche der alten Schriften besagen, dass der Schlaf unsere Vorbereitung auf den Tod ist: Auf einen Tag voller Leben und Licht folgt ein stilles, geruhsames Ende im Schlummer einer Nacht. Eine Probe, könnte man sagen – ein Muster, das wir oft genug befolgen, um es hinzunehmen, wenn unsere Zeit um ist und wir in die Erde zurückkehren müssen, die uns hervorbringt. Es ist kein Wunder, dass die Menschen damit ringen. Aber es ist ein edler Kampf, wie ich finde. Ich würde mich meinem Grabhügel nicht so leicht ergeben.«
    Auf das Gesicht des Mannes war ein schmerzlicher Ausdruck getreten, während er gesprochen hatte. Tahn starrte ziellos in die Nacht und dachte an einen Gelehrten, hier in einer vergessenen Stadt, allein. Er ließ sich alles noch einmal durch den Kopf gehen, was sie gesehen hatten: die gewaltigen Springbrunnen auf dem großen Platz in der Stadtmitte, prächtige und bescheidene Gebäude, die mit gleicher Sorgfalt errichtet waren, den großen Ring aus unbebautem Land, mit vereinzelten Hainen bestanden und mit den Gräbern derjenigen übersät, die aus Steinsberg in die Erde zurückgekehrt waren, bevor es zu dem Auszug gekommen war, nachdem die Stadt auf ewig verlassen gewesen war.
    Etwas durchzuckte Tahns Gedanken, etwas, das er gesehen hatte, als sie durch die Vielstimmenschlucht gekommen waren: eine Gestalt, selbst kaum mehr als ein Schatten, die sich über ein Grab gekauert hatte. Der nagende Gedanke nahm Form an, als er sich an die
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