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Das geraubte Paradies

Das geraubte Paradies

Titel: Das geraubte Paradies
Autoren: Bernd Perplies
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diesem Tal, eingemauert zwischen hohen Bergen, und die wenigen Wanderer, die den Weg zu Ihnen finden, erschießen Sie. Die Welt, die Sie kennen, besteht aus einer Handvoll Kamerabilder aus Thronsälen und Berichten von Agenten, die mit den Mächtigsten der Mächtigen verkehren. Glauben Sie wirklich, das ist die ganze Wahrheit? Da draußen leben so viele anständige Leute: meine Eltern, die mich selbstlos gerettet und aufgezogen haben, oder Professore Adara und die Mitglieder der Ascherose, die für freies Wissen kämpfen. In der Wildnis habe ich einen Mann kennengelernt, der sein Leben geopfert hat, um meins zu retten, obwohl wir einander fremd waren. Und Paladin Alecander hat Jonan mehrfach vor der Inquisition beschützt, obwohl er selbst in den Reihen des Lux Dei dient. Julion Alecander war übrigens mal einer Ihrer Agenten. Jetzt führt er den Angriff gegen die Erdenwacht an, weil er begriffen hat, dass Ihr Handeln falsch ist. Ihre Motive mögen ja rein sein. Vielleicht wollen Sie der Menschheit wirklich helfen. Doch die Methoden sind falsch, denn sie verbieten ihr bloß, sich zu entfalten. Die Erdenwacht ist wie ein Vater, der seine Tochter einsperrt, weil er Angst hat, dass sie auf die schiefe Bahn geraten könnte, wenn er sie gehen lässt. Aus Freiheit muss aber nicht nur Böses entstehen. Wir könnten auch eine schönere Welt schaffen, etwas, das nie geschehen kann, solange Sie glauben, uns vorschreiben zu müssen, wie unser Leben auszusehen hat.«
    Carya trat dicht an die Glasscheibe heran. »Ja, ich war in diesem Raketensilo, um die
Hephaistos
aufzuhalten. Und ich würde es wieder versuchen, wenn ich Gelegenheit dazu bekäme. Denn wenn sie abgefeuert wird, sterben viele Tausend Menschen. Damit würde die Erdenwacht, die doch gut sein will, eine Schuld auf sich laden, die noch weit über das hinausgeht, was sie jeden Tag an Leid und Tod verursacht, weil sie uns ein Leben, das auch nur annähernd dem gleicht, was Sie hier führen dürfen, verweigert.«
    Ihre Stimme wurde sanfter. Auf einmal verspürte sie beinahe Mitleid mit diesem alten, verbohrten Mann, der das Richtige wollte, aber vollkommen verkannte, was für Folgen das Handeln der Erdenwacht in der Welt tatsächlich hatte. »Doktor, wenn die Erdenwacht die Menschen so liebt, dann sollte sie vielleicht anfangen, ihnen zu vertrauen. Es ist nicht alles schlecht dort draußen. Vielleicht sollten Sie dieses Tal mal verlassen. Dann würden Sie es selbst erkennen.«
    Die Mauer, die das Tal der Invitros nach Süden hin begrenzte, erhob sich an einer Engstelle zwischen zwei steil aufragenden Bergen. Das graue Bollwerk mochte etwa vierhundert Meter in der Breite messen und war sicher hundert Meter hoch – ein riesenhaftes, Ehrfurcht gebietendes Stück Architektur. Hier endete ihr Weg. Der Moment der Entscheidung war gekommen. Angesichts der Mühen, die jemand auf sich genommen hatte, um dieses Wehr zu errichten, bedauerte Jonan fast, was er nun würde tun müssen.
    Beinahe zehn Stunden lang hatten sie ihre Fahrzeuge nach Norden getrieben, gegen die eigene Müdigkeit und die Tücken der uralten Technik ankämpfend. Die Zeit hatte Jonan dabei wie ein unsichtbarer Dämon im Nacken gesessen, der ihm mit jeder verstreichenden Sekunde eine heiße Nadel in die Haut gerammt hatte. Jetzt war die Frist abgelaufen. Im Grunde waren sie schon zwei oder drei Stunden darüber hinaus. Aber da sie keine gewaltige Wolke über den Bergen im Norden hatten aufsteigen sehen, gab Jonan sich der Hoffnung hin, dass sie noch nicht zu spät kamen.
    Dafür sprach ebenso, dass niemand auftauchte, um sie mit blitzenden Lichtkanonen zu empfangen. Die schwarze Landschaft, durch die sie sich seit einer halben Stunde bewegt hatten, lag öde und verlassen da. Das bedeutete wohl zum einen, dass die Kommunikation noch immer ausgefallen war, und zum anderen, dass der Kampf um den Westpass unvermindert heftig geführt wurde.
    Jonan, der mittlerweile seine Templerrüstung angelegt hatte und deshalb die letzten Kilometer außen neben der Kanone stehend mitgefahren war, warf einen Blick über die Schulter auf seine verbliebene Armee. Ein Lastwagen der Invitros mit sechzehn Zivilisten hatte sich auf Höhe der Invitro-Enklave von ihnen getrennt. Jonan machte es diesen Männern und Frauen nicht zum Vorwurf. Sie hatten schon mehr als genug für ihn getan. Geblieben waren ihm etwa vierzig zu allem bereite Gefolgsleute, außerdem Dennings kleine Truppe, die sich allerdings eher als Beobachter verstand, wie
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