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Das Geisterhaus

Das Geisterhaus

Titel: Das Geisterhaus
Autoren: Isabel Allende
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half ihr durchhalten, solange sie zusammen waren.
Sie war eine Frau, die sich nicht unterkriegen ließ. Sie hatte alle
Brutalitäten ertragen, sie hatten sie vor ihrem Freund
vergewaltigt, sie hatten beide zusammen gefoltert, aber sie hatte
die Fähigkeit zu einem Lächeln oder zur Hoffnung nicht
verloren. Sie verlor sie auch nicht, als sie in eine Klinik der
Geheimpolizei gebracht wurde, weil aufgrund der Schläge, die
sie erhalten hatte, das Kind abging, das sie erwartete, und sie zu
verbluten begann.
    »Es macht nichts, eines Tages werde ich ein anderes haben«,
sagte sie zu Alba, als sie in ihre Zelle zurückkam.
In dieser Nacht hörte Alba sie zum erstenmal weinen, die
Decke übers Gesicht gezogen, um ihren Kummer nicht laut
werden zu lassen. Alba ging zu ihr, umarmte sie, wiegte sie,
wischte ihr die Tränen ab, sagte ihr alle zärtlichen Worte, an die
sie sich erinnern konnte, aber es gab in dieser Nacht keinen
Trost für Ana Díaz, so daß Alba sich damit begnügte, sie in
ihren Armen zu wiegen und sie wie ein kleines Kind einzulullen,
und am liebsten selbst diesen schrecklichen Schmerz auf sich
genommen hätte, um ihr Erleichterung zu verschaffen. Am
Morgen schliefen beide, aneinandergeschmiegt wie kleine Tiere.
Tagsüber warteten sie sehnlichst auf den Moment, in welchem
die lange Reihe der Männer Richtung Abort an ihnen vorbeizog.
Unter der Aufsicht bewaffneter Wärter gingen sie mit
verbundenen Augen, und um die Richtung nicht zu verlieren,
hatte jeder die Hand auf die Schulter des Vordermannes gelegt.
Andrés war unter ihnen. Durch das winzige Gitterfensterchen in
ihrer Zelle sahen sie die Männer so nahe, daß sie sie hätten
berühren können, wenn es ihnen möglich gewesen wäre, die
Hand aus dem Fenster zu strecken. Sooft die Männer
vorübergingen, sangen
Ana und Alba mit der Kraft ihrer
Verzweiflung, und auch aus anderen Zellen stiegen weibliche
Stimmen auf. Da richteten sich die Männer auf, hoben die
Schultern, drehten die Köpfe in ihre Richtung, und Andrés
lächelte. Sein Hemd war zerfetzt und fleckig von getrocknetem
Blut.
    Ein Wärter ließ sich von dem Gesang der Frauen rühren.
Eines Nachts brachte er ihnen drei Nelken in einem Glas
Wasser, damit sie ihr Fenster schmücken konnten. Ein anderes
Mal sagte er zu Ana Díaz, er brauche eine Freiwillige, um die
Kleider eines Gefangenen zu waschen und seine Zelle
sauberzumachen. Er brachte sie zu Andrés und ließ die beiden
ein paar Minuten allein. Als Ana Díaz zurückkam, war sie
verklärt, und Alba wagte nicht mit ihr zu sprechen, um ihre
Glückseligkeit nicht zu stören.
    Eines Tages ertappte sich Oberst Garcia dabei, daß er Alba
wie ein Verliebter streichelte und ihr von seiner Kindheit auf
dem Land erzählte, als er sie von fern in ihrer gestärkten
Schürze und im grünen Schimmer ihrer Zöpfe an der Hand ihres
Großvaters Spazierengehen sah, während er, barfuß im
Schmutz, sich schwor, daß er ihr eines Tages ihre Arroganz
heimzahlen und sich rächen werde für sein verdammtes
Schicksal als Bastard. Starr und abwesend, nackt, zitternd vor
Ekel und Kälte, hörte Alba ihn nicht und fühlte ihn nicht, aber
für den Oberst war dieser Riß in seinem Wunsch, sie zu quälen,
so etwas wie eine Alarmglocke. Er befahl, Alba in
den
Hundestall zu bringen, und schickte sich wütend an, sie zu
vergessen.
    Der Hundestall war eine kleine, hermetisch abgeschlossene
Zelle, ohne Luft, dunkel und eisig wie ein Grab. Es gab ihrer
sechs im ganzen. Sie waren als Straforte in einem leeren
Wassertank angelegt worden und wurden nur für mehr oder
weniger kurze Zeit belegt, weil es niemand lange in ihnen
aushielt, höchstens ein paar Tage, dann fingen die
Eingeschlossenen an, irre zu reden, die Vorstellung von den
Dingen, die Bedeutung der Wörter und den Zeitsinn zu verlieren
oder einfach zu sterben. In ihr Grab gekauert, in dem sie sich
trotz ihrer geringen Größe weder setzen noch ausstrecken
konnte, wehrte sich Alba zuerst gegen den Wahnsinn. In der
Einsamkeit begriff sie, wie sehr sie auf Ana Díaz angewiesen
war. Sie glaubte, aus der Ferne kleine, unmerkliche Schläge zu
hören, als wollte ihr jemand aus einer anderen Zelle
verschlüsselte Botschaften zukommen lassen, aber bald achtete
sie nicht mehr darauf, weil ihr klar wurde, daß jede Art von
Verständigung nutzlos war. Sie gab sich auf, entschlossen, ein
für allemal ihrer Qual ein Ende zu setzen, sie aß nicht mehr, und
nur wenn ihre Schwäche sie
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