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Das Geheimnis

Das Geheimnis

Titel: Das Geheimnis
Autoren: Laura Joh Rowland
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wiederherzustellen, doch die Frauen beachteten sie nicht.
    »Lasst uns raus!«, riefen sie, drängten die Hochzeitsgesellschaft an die Flurwand und stürmten vorbei.
    »Wie können diese … äh, Weiber es wagen, sich mir gegenüber dermaßen respektlos zu verhalten!«, rief Tokugawa Tsunayoshi zornig. »Haben sie den Verstand verloren? Wachen, haltet sie auf!«
    Magistrat Ueda und die Diener schirmten Reiko vor der verängstigten Menge ab, die rasch anwuchs und der sich nun auch mehrere verschreckte Hochzeitsgäste anschlossen, die aus dem Bankettsaal geeilt kamen. Einige prallten mit Sanos greiser Mutter zusammen und hätten sie beinahe zu Boden geschleudert, doch Sano hielt sie fest.
    »Wenn wir nicht fliehen, sind wir des Todes!«, riefen die Frauen mit gellenden Stimmen.
    Plötzlich erschien ein Heer von Palastwächtern und trieben die völlig verängstigten Frauen ins Innere der riesigen Palastanlage zurück. Die Hochzeitsgesellschaft und die Gäste strömten in den Bankettsaal, wo bereits die Tische gedeckt waren und Sitzkissen bereitlagen. Eine Gruppe verängstigter Musiker stand an ihren Instrumenten, und Hausmädchen warteten auf die Anweisung, das Festmahl aufzutragen.
    »Was … äh … hat das alles zu bedeuten?« Der Shôgun rückte seine hohe schwarze Mütze gerade, die bei dem wilden Durcheinander auf dem Gang verrutscht war. »Ich verlange eine Erklärung!«
    Der Befehlshaber der Wachmannschaft verbeugte sich vor seinem Herrn. »Ich bitte um Vergebung, mein Fürst, aber in den Frauengemächern hat es einen Aufruhr gegeben. Eine Eurer Konkubinen ist vorhin gestorben, die ehrenwerte Harume.«
    Der oberste Palastarzt, welcher den dunkelblauen Umhang seines Standes trug, fügte hinzu: »Sie ist einer plötzlichen schweren Erkrankung zum Opfer gefallen. Daraufhin sind die anderen Frauen vor Schreck aus den Gemächern geflüchtet. Sie hatten Angst vor Ansteckung.«
    Ein bestürztes Raunen ging durch die Hochzeitsgäste. Tokugawa Tsunayoshi schnappte nach Luft. »Ansteckung?« Der Shôgun – ein willensschwacher, kränklicher, an Körper und Geist schwächlicher Mann – erblasste und bedeckte Mund und Nase mit beiden Händen, damit der Geist der Krankheit nicht in seinen Körper eindringen konnte. »Wollt Ihr damit sagen, dass sich im Palast eine … äh, Seuche ausgebreitet hat?«, fragte er mit dumpfer Stimme hinter vorgehaltener Hand. Dann wandte er sich Hilfe suchend an Sano und Magistrat Ueda, die nach ihm ranghöchsten Männer, die zugegen waren. »Was sollen wir jetzt tun?«
    »Das Bankett und alle anderen Feierlichkeiten sollten sofort abgesagt werden«, erwiderte Magistrat Ueda bedauernd. »Wir müssen die Gäste nach Hause schicken. Ich werde mich um alles kümmern.«
    Sano war bestürzt über dieses unglückselige Ende der Hochzeitsfeierlichkeiten, eilte seinem Herrn, dem Shôgun, aber sofort zu Hilfe. Im Palast zu Edo, in dem Hunderte der höchsten Beamten Japans mit ihren Familien wohnten, stellten ansteckende Krankheiten eine ständige und ernste Bedrohung dar. »Falls es tatsächlich eine Seuche ist, müssen die Frauen längere Zeit von allen anderen Bewohnern des Palasts fern gehalten werden, um eine Ausbreitung der Krankheit zu verhindern.« Sano erteilte dem Kommandeur der Palastwache die entsprechenden Befehle und wies den Arzt an, die Frauen auf Krankheitssymptome zu untersuchen. »Und Ihr, Herr, solltet in Euren Gemächern bleiben, um allen Gefahren aus dem Weg zu gehen«, wandte er sich an den Shôgun.
    »Äh … ja, gewiss«, erwiderte Tokugawa Tsunayoshi, der offensichtlich erleichtert war, dass ein anderer die Sache in die Hand nahm. Der Shôgun wandte sich in Richtung seiner Privatgemächer, forderte die Beamten auf, ihn zu begleiten, und rief Sano über die Schulter zu: »Ihr, sôsakan, nehmt umgehend die Nachforschungen über den Tod der Konkubine Harume auf! Ihr müsst verhindern, dass der … äh, böse Geist der Krankheit an mich herankommen kann. Macht Euch sofort an die Arbeit!« Dem Shôgun schienen sowohl der Tod Harumes als auch das Schicksal seiner anderen Konkubinen gleichgültig zu sein; ihm ging es einzig und allein um das eigene Wohlergehen. Und dass er Sano einen vierwöchigen Urlaub zugesagt hatte, war offenbar vergessen.
    »Wie Ihr wünscht, Herr«, rief Sano dem davoneilenden Despoten und dessen Gefolge nach.
    Hirata trat an Sanos Seite. Als die beiden Männer über den Flur in Richtung der Frauengemächer gingen, blickte Sano über die Schulter und sah, wie
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