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Das Geheimnis

Das Geheimnis

Titel: Das Geheimnis
Autoren: Laura Joh Rowland
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den Gästen. Auch Sanos Augen brannten vor mühsam zurückgehaltenen Tränen. Ob Reiko seine Hoffnungen und Empfindungen teilte?
    Der Diener stellte die erste und kleinste Schale zur Seite und füllte die zweite. Diesmal trank Sano zuerst und leerte auch diese Schale mit drei Schlucken; dann tat Reiko es ihm nach. Nachdem das Paar die dritte und größte Schale geleert hatte, begannen die Priester wieder mit Flöte und Trommel zu musizieren. Sano war vor Glück schier überwältigt, als er Reiko anschaute. Endlich waren sie Mann und Frau. Bald würde er nach langer Zeit wieder Reikos Gesicht sehen …

    Als die scharfe Messerklinge ihre rasierte, zarte Haut berührte, zuckte Harume unwillkürlich zusammen, so kalt war der Stahl. Ihr Herz schlug rasend schnell, und die Hand mit dem Messer zitterte. Harume legte es zu Boden und trank eine weitere Schale Sake. Dann schloss sie die Augen und stellte sich den Anblick ihres Geliebten vor, rief sich seine Zärtlichkeiten in Erinnerung, seine Liebkosungen. Der Weihrauchbrenner erfüllte die Luft mit einem schweren, süßen Geruch, und aufkeimende Leidenschaft ließ Harumes Furcht verblassen. Als sie die Augen wieder öffnete, waren ihr Geist und ihr Körper von Ruhe erfüllt. Wieder nahm sie das Messer, setzte es weit unten am Schambein an und machte den ersten Schnitt.
    Dunkelrotes Blut strömte aus der Wunde. Harume biss vor Schmerz die Zähne zusammen und sog scharf die Luft ein. Tränen brannten ihr in den Augen. Sie wischte das Blut mit ihrer Schärpe ab, trank einen weiteren Schluck Sake und machte den nächsten Schnitt. Wieder durchzuckte Schmerz ihren Körper; wieder strömte Blut. Nach elf weiteren Schnitten seufzte Harume schließlich vor Erleichterung. Das Schlimmste war überstanden. Nun galt es, jenen Schritt zu tun, der sie untrennbar an ihren Geliebten binden würde.
    Harume öffnete das Tuschefläschchen. Der Stöpsel war innen mit einem winzigen Pinsel versehen, dessen weiche Haare mit Tusche gesättigt waren und schwarz schimmerten. Behutsam strich Harume die Tusche in die Schnittwunden und genoss die feuchte Kühle, die den brennenden Schmerz linderte. Mit ihrer blutgetränkten Schärpe tupfte sie die Tusche von den Wundrändern und stöpselte das Fläschchen zu. Nach einem weiteren Schluck Reisschnaps bewunderte sie ihr Werk.
    Die fertige Tätowierung – dünne schwarze Linien auf ihrer fast weißen Haut – war nicht größer als ihr Daumennagel und zierte nun diese intime Stelle ihres Körpers: ein unauslöschliches Zeichen der Treue, Liebe und der Hingabe. Harume hoffte, die Tätowierung vor den anderen Konkubinen, vor den Palastbeamten und dem Shôgun verbergen zu können, bis ihr Schamhaar nachgewachsen war. Und war die Tätowierung erst vom Haar verdeckt – Harume und ihr Geliebter würden dennoch wissen, dass es sie gab und immer geben würde. Sie beide würden dieses Symbol der einzig wahren Ehe, die sie jemals schließen würden, wie einen Schatz hüten. Harume schenkte sich noch eine Schale Sake ein, um auf die ewige Liebe zu trinken.
    Doch zu ihrem Entsetzen konnte sie den Reisschnaps nicht herunterschlucken; er lief ihr aus dem Mund und rann ihr übers Kinn. Harume spürte ein seltsames Prickeln an den Lippen und auf der Zunge, und ihre Kehle fühlte sich geschwollen und taub an, als hätte jemand ihr Baumwolle in den Rachen gestopft. Eine scheußliche Kälte kroch über ihre Haut. Schwindel überkam sie. Das Zimmer drehte sich um sie herum, und die Flammen der Lampen, die plötzlich unnatürlich hell aufloderten, wirbelten vor ihren Augen. Entsetzt ließ Harume die Schale fallen.
    Was geschah mit ihr?
    Eine Woge der Übelkeit schwappte über Harume hinweg. Sie krümmte sich, die Hände auf den Magen gepresst, und übergab sich auf den Fußboden. Plötzlich verklumpte das heiße, säuerliche Erbrochene ihre Kehle und stieg ihr in die Nasengänge. Harume hustete und rang keuchend nach Atem. Sie bekam kaum noch Luft. Von Entsetzen und Todesangst gepackt erhob sie sich, wollte zur Tür. Doch ihre Beinmuskeln waren mit einem Mal zu schwach. Sie stolperte und trat dabei gegen die Weihrauchbrenner, das Rasiermesser, das Tuschefläschchen und das Messer mit dem Elfenbeingriff, sodass die Gegenstände über den Fußboden rutschten. Mit unsicheren Schritten kämpfte Harume sich bis zur Tür und riss sie auf, wobei sie die ganze Zeit gierig und verzweifelt nach Atem rang. Ein heiserer Schrei kam über ihre tauben, gefühllosen Lippen.
    »Hilfe!«
    Der
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