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Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)

Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)

Titel: Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)
Autoren: Antoinette Lühmann
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Verschwinde!«
    Ellie verharrte mit ausgestreckten Armen.
    Der alte Glaser schüttelte den Kopf, wobei ihm Spiegelscherben aus den Haaren flogen. »Du darfst nicht in ihre Nähe kommen! Ich weiß nicht, welchen Schaden sie anrichten …«
    Langsam rappelte er sich wieder auf. Noch immer streckte er ihnen warnend eine Handfläche entgegen, um sie daran zu hindern, ihm zu helfen.
    Als Gustav sich aufgerichtet hatte, wuchs sein stoppeliger Bart bis auf den Boden, und sein Rücken beugte sich nach vorn.
    Ellie stürzte auf ihn zu. Aber Nik schlang die Arme um ihren Bauch und hielt sie zurück. Sie schlug und trat, doch er ließ sie nicht los.
    »Du darfst mich nicht anfassen, Elisabeth«, schimpfte Gustav. »Sieh mich an! Ich bin ein steinalter Mann!«
    Ellie hörte auf, sich gegen Niks Arme zu wehren, und weinte stumm.
    »Natürlich«, kicherte der Alte. »Die Mädchen! Er hat ihre jugendliche Schönheit in die Spiegel gewebt und die fordern sie nun zurück …«
    Er hustete und griff sich an die Brust.
    Ein raschelndes Geräusch erklang hinter ihm. Gustav reagierte nicht.
    »Achtung«, schrie Luuk. Er streckte den Arm aus und deutete auf die Wand hinter Gustav. Der Glaser drehte sich langsam um. Er war durch drei Spiegel zugleich gefallen, und die Wand, an der sie gelehnt hatten, zerbröselte vor ihren Augen zu Staub. Die Balken knarzten und ächzten.
    »Komm her«, schrie Ellie und streckte die Arme aus.
    »Nein«, der Alte schüttelte den Kopf, »meine Knochen zerfallen wie das Haus. Ich bin nicht zu retten.« Er lächelte und entblößte einen zahnlosen Mund.
    Nik konnte den Blick nicht von ihm abwenden. Unaufhörlich wuchs Gustavs Bart, und sein Rücken krümmte sich, bis der kleine schrumpelige Kopf kaum noch über die Tischplatte der Werkbank schaute.
    »Lauft«, schrie der Alte schrill. »Lauft!«
    Die vier erwachten aus ihrer Erstarrung und wandten sich zur Tür.
    Ellie drehte sich noch einmal um. »Ich kann dich tragen, Gustav. Ich bin stark.«
    Der Glaser schien nur noch aus Haut und Knochen zu bestehen. Seine Kleidung schlotterte um seine Knie, als er einen Schritt zurücktrat und mit dem Rücken gegen die löchrige Hauswand stieß.
    »Du kannst mich nicht retten. Ich bin schon gerettet.« Er lächelte.
    Nik hielt Ellies Arm fest und zog sie zur Tür hinaus. Als sie auf die Straße traten, fielen die Mauern zusammen, und das erste Stockwerk krachte auf die Reste des Fundaments herunter. Entsetzt sprangen sie zurück. Mauersteine schlugen dicht neben ihnen auf das Pflaster. Einer traf Nik an der Schulter. Er stöhnte. Der Arm fühlte sich taub an. Die hintere Seite des Hauses senkte sich und die Holzbalken ächzten. Die vier wichen weiter zurück, bis sie das Ufer der Gracht erreichten. Dann stolperten sie die Straße entlang, um den Steinen auszuweichen, die vor der Werkstatt auf das Pflaster prasselten.
    Ellie weinte stumm. Benthe und Luuk lehnten sich gegen eine Eiche und keuchten atemlos. Nik stützte mit der Hand seinen schmerzenden Arm und sah sich um. Unter dem Baum lag ein offenes Boot am Ufer. Es war vorn mit Truhen und Kisten beladen, doch hinten lag nur ein einziger in Tuch eingewickelter Gegenstand. Nik brauchte nicht nachzusehen, um zu erkennen, was sich darin befand. Zwischen dem umhüllten Spiegel und der Ruderbank hätten alle Spiegel aus der Werkstatt des Spiegelmachers Platz gefunden – doch aus dieser Fahrt würde nichts werden. Nik lächelte grimmig. In Heinrichs Haus war sicher kein einziger Spiegel heil geblieben.
    »Er will mit dem Boot fliehen«, rief Nik.
    Ellie trat neben ihn an das Ufer der Gracht. Sie starrten zu dem Boot hinunter, das friedlich auf dem schwarzen Wasser schaukelte. Luuk stand auf und stützte sich auf Niks Schulter. In seinem Gesicht klebte noch getrocknetes Blut.
    »Daraus wird nichts werden.« Luuk grinste.
    Hinter ihm krachten die Balken unter der Last des Daches zusammen. Nik drehte sich um. Eine Staubwolke hüllte die Werkstatt und einen Teil der Nachbarhäuser ein und Dachziegel zerbarsten wenige Schritte von ihnen entfernt auf dem Pflaster. Nik bückte sich und hob mit dem unverletzten Arm einen Stein auf. Er wog ihn in der Hand und reichte ihn Luuk. Dann nahm er ein Stück von einem Dachziegel und nickte.
    Gleichzeitig schleuderten sie die Steine auf das Boot des Spiegelmachers. Der Boden war nicht beschädigt und auch der Spiegel blieb unversehrt. Trotzdem fühlte sich Nik so zufrieden und frei wie nie zuvor. Luuk lachte leise neben ihm. Sie ließen
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