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Das Geheimnis des Falken

Titel: Das Geheimnis des Falken
Autoren: Daphne DuMaurier
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letzten geschlossen hatte, seufzte ich auf und steckte mir eine Zigarette an. Aber genau in diesem Augenblick trat hinter einer Säule, wo er sich unbeobachtet geglaubt haben mußte, der einsame, mittelalterliche Amerikaner hervor. Wie es alle seine Landsleute in unbewußter Erinnerung an ihre farbigen Brüder tun, wiegte er sich beim Gehen in den Hüften.
    »Wie wär's mit einem Schlaftrunk oben in meinem Zimmer?« sagte er.
    »Bedaure«, erwiderte ich kurz angebunden. »Das verstößt gegen die Vorschrift.«
    »Ach was, kümmern Sie sich nicht darum«, sagte er. »Es ist doch längst Dienstschluss.«
    Er näherte sich mir und schob, mit einem halben Blick nach rückwärts spähend, einen Schein in meine Hand. »Zimmer 244«, flüsterte er und verschwand.
    Ich setzte die Drehtür in Bewegung und ging auf die Straße. Dergleichen war mir schon öfters passiert und würde wieder passieren. Ich mußte die Abfuhr meinerseits und die daraus resultierende Feindseligkeit seinerseits hinfort einkalkulieren auf unserer Tour. Die Haltung, die ich meinen Arbeitgebern in Genua schuldete, schloß entsprechende Beschwerden aus. Aber anderseits wurde ich von der Agentur ›Sonnenreisen‹ nicht dafür bezahlt, daß ich für die Gelüste oder die Einsamkeitsgefühle gewisser Kunden aufkam.
    Ich ging bis zum Ende des Häuserblocks und blieb dort einen Augenblick stehen, die kalte Abendluft in mich hineinsaugend. Ein oder zwei Autos kamen des Weges und glitten vorbei. In meinem Rücken, für mich unsichtbar, brauste noch der Verkehr der Via Veneto. Ich schickte einen Blick hinüber zur Kirche. Die Gestalt hockte noch auf der Treppe. Sie rührte sich nicht. Ich betrachtete den Geldschein in meiner Hand. Es war ein Zehntausend-Lire-Schein. Ein Hinweis, wie ich vermutete, auf künftiges Entgegenkommen, das ich zu gewärtigen hatte. Das Geld konnte ich gebrauchen, das Entgegenkommen nicht.
    Ich überquerte die Straße und beugte mich zu der schlafenden Frau hinab. Ein flüchtiger Geruch von schalem Wein und alten Kleidern stieg mir in die Nase. Ich tastete nach der Hand unter den Tüchern und schob den Geldschein hinein. Plötzlich bewegte sie sich, hob den Kopf. Sie hatte ein Adler-Gesicht, kühne Züge und Augen, die einmal sehr groß gewesen sein mußten, aber nun tief eingesunken waren. Das wirre graue Haar fiel in Strähnen auf ihre Schultern. Sie war offenbar von weit hergekommen, denn sie hatte zwei Proviantkörbe mit Brot und Wein neben sich und noch ein zusätzliches warmes Tuch. Wieder überfiel mich jenes Gefühl des Wiedererkennens, spürte ich eine Verbindung mit der Vergangenheit, für die ich keine Erklärung wußte. Selbst die Hand, die trotz der Kälte Wärme ausstrahlte und die meine dankbar umklammerte, löste eine ungewollte, doch spontane Reaktion in mir aus. Die Frau sah mich aus großen Augen an, und ihre Lippen bewegten sich.
    Ich wandte mich ab. Ich lief, nein, ich stürzte, glaube ich, zurück ins ›Splendido‹. Wenn sie nach mir rief – und ich hätte schwören können, daß sie rief –, so wollte ich es nicht hören. Sie hatte die zehntausend Lire und würde sich am Morgen Unterkunft und Essen beschaffen können. Sie ging mich nichts an, und ich ging sie nichts an. Die Gestalt in den wallenden Kleidern, die wie Trauerkleider wirkten, war eine Ausgeburt meiner Phantasie und hatte nichts zu schaffen mit einem betrunkenen Bauernweib.
    Ich mußte schlafen, um jeden Preis. Ich mußte munter sein am nächsten Morgen, für den Besuch von Petersdom und Vatikan, Sixtinischer Kapelle und Engelsburg …
    Ein Fremdenführer, ein Reiseleiter hat keine Zeit. Überhaupt keine Zeit.

2. Kapitel
    Ich wachte abrupt auf. Hatte da nicht jemand Beo gerufen? Ich drehte das Licht an, stieg aus dem Bett, trank ein Glas Wasser und schaute auf die Uhr. Es war zwei Uhr morgens. Ich fiel zurück auf meine Kissen, aber der Traum ließ mich nicht los.
    Das unpersönliche nackte Hotelzimmer, meine Kleider über dem Stuhl, das Abrechnungsbuch und der Plan unserer Reiseroute neben mir auf dem Nachttisch gehörten in eine improvisierte Existenz, in eine völlig andere Welt als jene, in die ich, aus Versehen, hineingestolpert war. Beo … Il Beato, der Glückliche, der Gesegnete. Ein Kindername, den meine Eltern mir gegeben hatten, und Marta. Zweifelsohne, weil ich ein Spätling war, ein Nachzügler, weil acht Jahre zwischen mir und meinem älteren Bruder Aldo lagen. Beo … Beo … Der Schrei hallte in meinen Ohren wider wie eben im
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