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Das Geheimnis der versteinerten Traeume

Das Geheimnis der versteinerten Traeume

Titel: Das Geheimnis der versteinerten Traeume
Autoren: Ralf Isau
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eine bestimmte Bedeutung?«
    »Geht’s noch lauter?«, zischte Benno. »Ja, es hat eine Bedeutung. Das Dreieck ist der Mensch. Die Spitzen stehen für seinen Verstand, die Gefühle und die Fantasie. Alle drei gehen in seinem Traum-Ich auf – dem Kreis.«
    »Aber sie sind nicht völlig deckungsgleich.«
    »So ist das mit Träumen nun mal. Sie zeigen immer nur einen Teil der Wirklichkeit und gleichzeitig ragen sie über sie hinaus.«
    »Und das Vogel-Auge?«
    »Es ist ein Traumauge . Nichts bleibt vor ihm verborgen, weil der Vogel frei ist zu fliegen, wohin er will. In Träumen ist eben alles erlaubt und alles möglich. Träume sind grenzenlos.«
    »Mannomann! Klingt ja mega-philosophisch. So hätte ich dich gar nicht eingeschätzt, Benno Kowalski.«
    Der zog eine Grimasse. »Tja, jeder hat eben seine verborgenen Seiten. Können wir jetzt das Thema wechseln?«
    Leo zuckte die Achseln und schmunzelte still vor sich hin. Der coole Rotschopf war in seinem Innern ein Sensibelchen. Eigentlich machte ihn das noch sympathischer. Leo wandte seine Aufmerksamkeit der näheren Umgebung zu.
    An der Sammelstelle herrschte bereits ein munteres Durcheinander. Die Mehrzahl der Jungen und Mädchen hatte die Sommerferien bei ihren Familien verbracht und sie begrüßten sich, wie es Schulfreunde fast überall tun. Manche sprachen Englisch miteinander – sie gehörten zu den internationalen Klassen. Andere erzählten sich in Schweizerdeutsch, auf Berlinerisch oder im Wiener Dialekt von ihren Ferienerlebnissen. Einige waren wie Leo neu, was er an ihren unsicher umherschweifenden Blicken erkannte.
    Während Benno nach wie vor seinen Einführungsvortrag
hielt, fiel Leo ein schwarzhaariges Mädchen ins Auge, das ihm den Atem verschlug. Es war mehr als hübsch, es war … geheimnisvoll? Aufregend? Exotisch? Ihm wollte kein wirklich passender Ausdruck einfallen, um seine Empfindungen zu beschreiben. Dürfte die Menschheit nur eine einzige Botschafterin zu einem anderen Stern schicken, dann wäre sie die Richtige.
    Na gut, die Kurzhaarfrisur hätte nicht sein müssen – sie erinnerte ihn an seine Mutter. Aber nur ganz entfernt. Bei dem Mädchen standen die pechschwarzen Strähnen so keck vom Kopf ab, als sei es aus einem Manga entsprungen. Ansonsten war die geheimnisvolle Fremde perfekt. Ihre großen Augen strahlten grün, und das schwarze Haar schimmerte blau, wo die Sonne schräg darauf fiel – es glich dem Gefieder eines Raben. Die Figur schien auch keine Mängel aufzuweisen, soweit die weiße, seitlich geschlitzte Baumwolltunika, die sie über ihrer Jeans trug, dies erkennen ließ. Zur Traumakademie gehört eine Traumfrau, dachte Leo. Unwillkürlich zogen sich seine Mundwinkel in die Breite.
    Die Schöne wandte sich demonstrativ von ihm ab. Offenbar fasste sie sein Lächeln als plumpe Anmache auf.
    »Vergiss es«, sagte Benno.
    Leo blinzelte ihn irritiert an. »Was?«
    »Die Nymphe«, schnaubte er. Seine Sommersprossen schienen ihm vor Verachtung aus dem Gesicht zu springen.
    »Wen?«
    Der igelige Rotschopf neigte sich in Richtung der Schönen. »Die Hippe, die du so anschmachtest, ist Orla Flaith. Kommt aus Irland oder Wales. Die darfst du nicht mal nach ihrem Namen fragen. Kalt wie eine Meerjungfrau ist die.«
    »Sie hat so etwas …« Leo rang nach dem richtigen Wort, um das Fremdartige, beinahe Feenhafte des Mädchens zu umschreiben.

    »Erotisches?«
    »Exotisches trifft’s eher.«
    »Meinte ich ja. Die Nymphe ist übrigens in meiner Klasse. Kam erst kurz vor den Sommerferien nach Salem. Sie spricht perfekt Deutsch.« Benno deutete zu einem korpulenten Lehrer in schwarzer Hose, dunkelblauem Cordhemd und grauem Sakko mit Fischgrätmuster, der sich gerade mit einem anhaltenden »Schsch!« Gehör verschaffte. »Das ist Osmund Okumus, unser Tutor – so ’ne Art Vertrauenslehrer. Ich kann ihn nicht besonders leiden. Ist mir zu überkandiert.« Er meinte wohl überkandidelt.
    »Was stört dich an ihm?«, fragte Leo flüsternd.
    »Er tut immer so geheimnisvoll. Außerdem schleicht er nachts in den Gängen herum wie ’n Schlossgeist. Deshalb nennen wir ihn ›Okkultus‹.«
    »Hat nicht jeder seine Marotten?«
    »Warte, bis du ihn kennenlernst. Er scheint versessen darauf zu sein, uns bei irgendwelchen Regelverstößen zu erwischen, damit er uns zum Montagmorgenstraflauf verdonnern kann. Zehn Kilometer grüne Hölle im Forst, wenn du verstehst, was ich meine. Der reinste Achselterror! Dabei soll er sich bei den Lehrern für uns
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