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Das Geheimnis der Tarotspielerin: Zweiter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)

Das Geheimnis der Tarotspielerin: Zweiter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Tarotspielerin: Zweiter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
Autoren: Marisa Brand
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knirschen und riss ihm die Kapuze vom Kopf. Das kahle Licht der Dämmerung genügte, um flammrote Locken auflodern zu lassen, die unter dem Helm mit dem Halbvisier hervorquollen.
    Lunetta hielt den Atem an. Der Fremde drehte sich langsam zu ihr um.
    »War diese Böe eine Kostprobe deiner Kunst?«
    Lunetta kniff die Augen zusammen. Was sie von seinem Gesicht unter dem Visier zu erkennen vermochte, schien makellos, sein Kinn glatt, die Nase gerade und wohlgeformt. Seine Augen waren von heller, fast silberner Farbe. Eisaugen, die zu seinem abweisenden Mund passten. Nein, dort stand kein Engel. Ihr Retter sah aus wie ein jugendlicher Gott des Zorns.
    Mars, durchfuhr es Lunetta, jener heidnische Kriegsgott, der die Tarotkarte des gesprengten Turms astrologisch beherrschte. Oh nein, das Tarot war kein Spiel!
    »Ihr seid kein Aussätziger. Warum tragt Ihr die Leprosentracht?«, entfuhr es ihr.
    »Wusstet Ihr, dass die lebenden Toten im fortgeschrittenen Stadium des Zerfalls das Gefühl von Schmerz verlieren? Sie werden gleichsam unverwundbar. Tamquam mortuus – einem Toten gleich. Eine Gnade, wie ich finde!«
    »Wie könnt Ihr Spott mit einer Krankheit treiben?«
    »Es hat in dieser Welt Vorteile, für einen Unberührbaren gehalten zu werden. Vor allem, wenn es gilt, Verfolger abzuschütteln, die sich für Gottes Gesandte halten, kleine Gauklerin.«
    »Ich bin keine Gauklerin, und den Schmied sah ich heute zum ersten Mal. Er hat mich nicht verfolgt.«
    »Ich sprach nicht von Euch, sondern von mir, meine Schöne.«
    Damit drehte sich der Rothaarige um und verschwand.
    Hinter Lunetta stöhnte Goswin auf. Erschrocken wandte sie sich ihrem Kutscher zu. Wie hatte sie ihn nur wegen dieses Halunken vergessen können?
    »Goswin, kannst du mich hören?«
    Der Soldat öffnete mit flatternden Lidern die Augen. Sie sah, dass er sprechen wollte, und hielt ihr Gesicht ganz nah an das seine.
    »Die Karten«, brachte er mühsam hervor. »Vernichtet die Karten, bevor der Schellenknecht zurückkommt! Vergrabt sie, verbrennt sie. Schafft sie aus der Kirche. Niemand darf sie je wieder sehen!«
    »Ich lasse dich nicht allein.«
    Goswin richtete sich etwas auf. »Tut, was ich sage«, keuchte er. »Die Karten könnten für uns beide das Ende sein.«
    Lunetta tastete nach ihrer Manteltasche, fand das Seidentuch, zog es hervor und erschrak.
    »Sie sind weg! Bis auf den Turm sind alle weg.« Sie tastete nach der anderen Tasche. »Und das Reisegeld ist ebenfalls verschwunden.« Ihr Gesicht wurde hart. Der Mann mit den Eisaugen hatte ihren Mantel aufgelesen! Waren diebische Taschenspielertricks sein ganzes Geheimnis?
    Goswin stöhnte und schloss die Augen. »Dann gnade uns Gott!«
    Lunetta raffte die Röcke. Ohne länger zu zögern, rannte sie aus der Kapelle und in das verlöschende Licht des Tages. Noch immer strich Wind über das Gräberfeld. Sein wütendes Fauchen war einem klagenden Ton gewichen.
    Gehetzt schaute Lunetta sich um. Im vagen Licht der Dämmerung glaubte sie die Umrisse des Leprosengehöfts und das Blinken einer Laterne zu erkennen. Das musste der Schellenknecht sein. Sie rannte los, glitt aus im saugenden Schlamm, fing sich und stolperte vorwärts durch die Gräberreihen. Sie wich windschiefen Kreuzen aus, sah vom Sturm gestürzte Steine und aufgeworfene Grabhügel, sprang über Wurzeln, die der Regen freigelegt hatte. Oder waren es Knochen? Sie schauderte und hielt im letzten Moment vor einer offenen Grube inne. Das Grab des Schellenknechts.
    Sie schluckte. Magisch zog das gähnende Loch sie an. Ein Impuls zwang sie, einen Blick zu wagen. Sie schreckte zurück. Das Grab war nicht leer.
    Lunetta taumelte rückwärts. Sie schloss die Augen. Vergeblich. Das Bild des Toten hatte sich in sie eingegraben. Der blutleere Mund, der glatt durchtrennte Hals, weit geöffnete, gleißend helle Augen, die ihr jähe Todesangst eingejagt hatten. Ein Gefühl, als solle sie in die Grube hinabgezogen werden.
    Waren es die Augen des Degenträgers?
    Noch einmal wagte sie einen Blick in die Grube. Der Leichnam war nackt und schön, aber nicht so jung, wie es der Degenträger war. Sie suchte das Gesicht des Toten und schrie auf. Dem Leichnam fehlte der Kopf. Wie gelähmt sah sie, dass der Tote sich aufrichtete, um sich aus dem Grab zu erheben, sich aufhockte und löwengleich zum Sprung ansetzte. Wieder schrie sie auf.
    »Lunetta!« Hart umklammerte eine Hand ihren rechten Arm und riss sie vom Rand des Grabes zurück. »Kind! Wir haben dich in Köln
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