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Das Geheimnis der Krähentochter

Das Geheimnis der Krähentochter

Titel: Das Geheimnis der Krähentochter
Autoren: Oliver Becker
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verborgen im Wald, und ich sah, wie
schön du wurdest, wie glücklich du warst.«
    »Vogt ging also tatsächlich darauf ein.«
    »Na ja, ich musste schon etwas mehr Druck
auf ihn ausüben. So sagte ich ihm, ich würde seinen Hof niemals mit einem Fluch
belegen.« Erneut ein Kichern. »Es wirkte. Das war es wohl, was ihn letztlich
umgestimmt hat. Wir beschlossen, dass du erst von deiner Herkunft erfahren solltest,
nachdem du erwachsen geworden bist. Es hätte sicher nicht mehr lange gedauert,
bis Wolfram Vogt dir die Chronik der Falkenbergs übergeben hätte.«
    »Alles ist jedoch ganz anders gekommen.«
    Cornix nickte traurig. »Ich denke, Thadeus bekam irgendwann Wind
davon, dass Robert nicht mehr lebte und sich die ganze Zeit über auf dem
Petersthal-Hof versteckt gehalten hatte.«
    »Wie kann er das erfahren haben?«
    »Es gibt selten etwas, das geheim bleibt, Bernina. Die Wahrheit
ist eine Macht, die man nicht unterschätzen darf, die immer wieder Vergrabenes
aus der Erde wühlt. Und Thadeus war jemand, der geduldig lauern konnte, bis ihm
plötzlich irgendein Hinweis in den Schoß fiel. Die Tatsache, dass es ja noch
Roberts Tochter gab, muss ihm stets bewusst gewesen sein. Und die Möglichkeit,
dass das Mädchen auf dem Hof oder in dessen Umgebung aufwuchs oder man dort
zumindest etwas über den Verbleib des Kindes erfahren konnte, die war ihm wohl
ebenfalls klar.«
    »Was für ein grauenerregender Mensch«, murmelte Bernina.
    »Jedenfalls kam er eines Tages zu dem Schluss, dass die Tochter
seines Bruders alt genug sein dürfte, um eine Gefahr dazustellen.«
    »Welche Gefahr?«
    »Sie könnte womöglich als Falkenberg-Erbin wieder aus dem Nichts
auftauchen und versuchen, Ansprüche geltend zu machen. Thadeus wollte offenbar
nicht das geringste Risiko eingehen. Er beschloss, alles, was an früher
erinnerte, ganz einfach auszulöschen. So kehrte er noch einmal auf den
Petersthal-Hof zurück: um seine eigene Vergangenheit niederzubrennen. Und um
sich auch noch an dem armen Herrn Vogt zu rächen, der seinen Bruder unterstützt
und ihn getäuscht hatte. Alle ließ Thadeus töten. Jeden, der sich auf dem Hof
aufhielt. Anscheinend war er überzeugt, dass er sein Ziel erreicht hatte. Unter
den Toten befand sich eine junge Frau mit langem hellem Haar, und er dachte,
diese Frau müsstest du sein.«
    »Hildegard!«
    »Ja, ich bin sicher, er hat sie für dich gehalten. Und dann ritt
er davon, dieser abscheuliche Mensch, um sich wieder zu verstecken, hinter
einem seiner angenommenen Namen. Nachdem du schon nicht mehr bei mir warst,
hörte ich in Gundelfingen Menschen voller Furcht über ihn sprechen. Sie nannten
ihn Pietro della Valle, aber mir war klar, dass es Thadeus war.«
    »Pietro della Valle«, wiederholte Anselmo
leise. Mittlerweile saßen sie
längst wieder auf den Decken vor dem Feuer. »Das sind italienische Worte.
Pietro steht für Peter. Und Valle für Tal.«
    Die Krähenfrau lachte auf. »Ja, ich weiß. Das fiel mir sofort auf,
als ich den Namen hörte. Immer habe ich gehofft, ich hätte alles getan, um
dich, Bernina, von den Falkenbergs zu trennen. Niemals hätte ich für möglich
gehalten, dass Thadeus eines Tages so brutal sein könnte, den ganzen Hof dem
Erdboden gleichzumachen. Aber er verstand es stets, die schlechten Erwartungen,
die man an ihn hatte, noch zu übertreffen.« Sie starrte in die Flammen, als
könnten sie ihr etwas erzählen. »Ich habe alles falsch gemacht. Ich hätte
niemals mit Vogt die Abmachung treffen, sondern gleich nach Roberts Tod den Hof
verlassen sollen. Und zwar mit dir, mit meiner Tochter.«
    »Niemand kann in die Zukunft sehen«, erwiderte Bernina und drückte
die Mutter an sich. »Nicht einmal die Krähenfrau. Du hast das getan, was du für
das Beste gehalten hast. Und damit soll es gut sein.« Während sie sich erhob
und an die Türöffnung trat, vor die Cornix eine Decke gehängt hatte, fühlte sie
Steifheit in ihren Armen und Beinen. Sie schob die Decke beiseite und atmete
die frische Luft der Nacht ein.
    Dunkelheit hüllte die Ruinen des Hofes und den Wald ein. Nur
wenige Sterne waren am Himmel zu sehen. Erst als sich Anselmos Hand sanft auf
ihre Schulter legte, schreckte Bernina aus ihren Gedanken auf.
    Er stellte sich neben sie, und sie genoss es, seine Nähe zu
spüren. »Ich muss über so vieles nachdenken«, sagte sie leise.
    »Ich weiß, Bernina.«
    »Jakob von Falkenberg war mein Vetter«, meinte sie, beinahe mehr
zu sich als zu ihm. »Ist das nicht unglaublich? Die
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