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Das Geheimnis der Hebamme

Titel: Das Geheimnis der Hebamme
Autoren: Sabine Ebert
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der nur zwei Jahre jüngeren Marthe von ihren Plänen erzählte.
    Vor ein paar Tagen war der Tross in einem weiter südlich gelegenen Ort aufgebrochen und hatte am Vortag unterhalb der Burg Rast gemacht. Und an diesem Morgen mussten Jonas und Emma mit ihnen aufgebrochen sein.
     
    Marthe atmete die kalte Luft bis tief in den Bauch und versuchte, ihr hämmerndes Herz zu beruhigen.
    Sie war ganz allein, hatte weder Schuhe noch Umhang, geschweige denn Saatgut oder Vieh, nicht einmal etwas zu essen für den langen Weg. Warum sollten die Siedler sie mitnehmen?
    Aber ihr blieb keine Wahl. Sie musste es einfach schaffen.
    Sie wischte ein paar feuchte Blätter vom Rocksaum, löste ihren zerzausten Zopf und strich mit den Fingern ihr Haar glatt.
    Sie wollte sich den Rastenden offen auf dem Weg nähern. Doch im letzten Moment überkamen sie Zweifel. Wenn das Wulfharts Männer waren, die dort lagerten? Vorsichtig, um nicht gesehen zu werden, schlich sie von einem Baum zum anderen.
    Marthe war auf dreißig Schritt an das Feuer herangekommen, als sie spürte, dass jemand in unmittelbarer Nähe war. Sie blieb stehen, straffte sich und sagte leise, aber deutlich: »Ich komme allein und bitte um Euren Schutz!«
    Wie aus dem Nichts tauchte neben ihr der fremde Ritter auf, den sie im Dorf gesehen hatte, das blanke Schwert in der Hand. Er war groß und schlank, mochte Mitte zwanzig sein und trug ein schlichtes Lederwams. Dunkle Haare fielen ihm auf die Schulter. Sein Gesicht war scharf geschnitten und wirkte so düster, als würde es kein Lächeln kennen.
    Mit fließender Bewegung steckte der Ritter das Schwert in die Scheide. »Wie hast du mich bemerkt? Ich habe kein Geräusch gemacht«, fragte er mit einer kaum wahrnehmbaren Spur von Staunen.
    Marthe wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. So wiederholte sie nur: »Herr, ich bitte um Euren Schutz.«
    Das Gesicht des Fremden blieb ernst, aber seine Stimme klang nun freundlicher. »Schutz wovor oder vor wem? Ein junges Mädchen, das sich sogar nachts in den Wald wagt, scheint nicht sehr ängstlich zu sein.«
    Marthe beobachtete ihn vorsichtig. Wie viel durfte sie ihm sagen?
    Er ist wachsam, mutig und voller Trauer, dachte sie und fragte sich im gleichen Augenblick, woher sie das wissen wollte.
    Sie entschloss sich, ihr Schicksal in die Hände dieses Mannes zu legen, und holte tief Luft.
    »Warte«, unterbrach er sie nach einigen Sätzen.
    Der Ritter holte einen Feuerstein aus dem Beutel an seinem Gürtel, entfachte mit geübten Griffen ein kleines Feuer und bedeutete ihr, sich ihm gegenüber an das Feuer zu setzen.
    Er will mein Gesicht sehen, während ich erzähle, dachte Marthe und begann, stockend zu berichten.
    Christian, Ritter im Dienste des Meißner Markgrafen Otto von Wettin und künftiger Lehnsherr der Siedler, beobachtete das Mädchen aufmerksam. So ausgefallen ihre Geschichte auch klang – er glaubte ihr aufs Wort. Er hatte Wulfhart bei seinem Antrittsbesuch auf der Burg kennen gelernt und auch bei den Dorfbewohnern genug gesehen und gehört. Die Grausamkeit des Burgherrn, die Rohheit seiner Soldaten und die Unnachgiebigkeit, mit der er auch nach den Missernten der letzten Dürrejahre die Abgaben eintreiben ließ, hatten unübersehbare Spuren hinterlassen. Die Ländereien waren heruntergewirtschaftet, die Höfe ohnehin längst zu klein, um eine ganze Familie zu ernähren. Weiter unter den Söhnen aufgeteilt werden konnten sie nicht; die Jüngeren mussten sich beim ältesten Bruder als Knecht verdingen.
    Auf die nach eigenem Land hungrigen nachgeborenen Söhne hatte auch sein Herr gesetzt, als er ihn nach Franken schickte, um Siedler anzuwerben. Markgraf Otto herrschte über ein weites Gebiet in den Ostlanden jenseits der Saale. Doch das war zu großen Teilen von dichten Wäldern bedeckt. Abgesehen von wenigen größeren Ortschaften, lebten dort zumeist nur einige halbherzig konvertierte heidnische Slawen. Hier und da stand eine schwach besetzte Burg, um das Land gegen die Böhmen zu befestigen. Es fehlte an Menschen, die es urbar machten, Dörfer errichteten, Wege instand hielten und den Zehnten zahlten.
    Die offenkundige Misswirtschaft in Wulfharts Dörfern hatte Christian die Aufgabe leichter gemacht, Männer und Frauen für den gefahrvollen Marsch in die Ferne zu gewinnen.
    Dieses Mädchen hier braucht und verdient Schutz, dachte er. Schmal und abgehetzt, wie sie vor ihm saß, wirkte sie zerbrechlich. Ob sie stark genug für die Plagen und Gefahren des Weges sein
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