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Das Geheimnis der Äbtissin

Das Geheimnis der Äbtissin

Titel: Das Geheimnis der Äbtissin
Autoren: Johanna Marie Jakob
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ansetzte. Doch ihr Mund blieb stumm. Seltsam fasziniert beobachtete sie, wie er die verletzte Haut entlang des gesplitterten Knochens tiefer aufschnitt.
    »Taucht das Tuch in den anderen Eimer und reicht es mir«, befahl der Fremde Eckardt. Der gehorchte stumm, doch seine Hände zitterten.
    Der Heiler tupfte das Blut von Ludwigs Haut. »Jetzt gilt es, Mann! Haltet den Oberschenkel so fest, wie Ihr könnt. Ich werde versuchen den Knochen zu richten.«
    Beide Männer zogen am Bein des Bruders, jeder in eine andere Richtung. Judith biss sich fest in den Arm, um nicht aufzustöhnen. Bestimmt würden sie Ludwigs Bein auseinanderreißen. Der Maure wirkte ruhig und konzentriert, Eckardt dagegen lief der Schweiß über das Gesicht. Der Junge stöhnte und warf den Kopf herum.
    »Zieht, Mann! Er darf uns nicht aufwachen!« Eckardt nickte nur, zum Reden hatte er keinen Atem. Wieder stöhnte Ludwig, und seine Augenlider zitterten.
    »Jungfer! Haltet den Kopf Eures Bruders und redet mit ihm.«
    Judith kletterte auf das Lager und setzte sich so, dass sie Ludwigs Kopf auf den Schoß nehmen konnte. Eckardt warf ihr einen kurzen Blick zu und versuchte aufmunternd zu lächeln, was ihm gründlich misslang. Ludwigs Gesicht war von feinen Schweißtröpfchen überzogen und unter den Schürfwunden weiß wie Linnen. Sie griff sich eines der bereitliegenden Tücher und tupfte ihm die Stirn ab. Dabei summte sie das Lied vom Spielmann. Es war das erste, das ihr in den Sinn kam.
    »Spielmann, sing uns deine Weise,
    sing sie laut – nicht leise,
    weis uns deinen Schritt,
    bald tanzen alle mit.«
    »Es ist geschafft«, murmelte der Maure. Der Knochenspieß war in der offenen Wunde verschwunden. Eckardt taumelte erschöpft zurück.
    »Ich brauche Leisten, stark wie Euer Daumen und etwas länger als der Unterschenkel des Jungen. Könnt Ihr sie auftreiben?«
    »Beim Zimmermann, gewiss.«
    Während Eckardt zur Tür ging, beobachtete Judith mit weit aufgerissenen Augen, wie der Heiler einen hellen Faden durch das Öhr einer Nadel zu fädeln begann.
    Zum ersten Mal richtete sie das Wort an ihn. »Was hast du vor?«
    »Ich werde die Wunde zunähen.«
    »Wie einen Riss im Stoff?«
    »Genau so.«
    Gebannt hing ihr Blick an den schlanken braunen Händen, die mit schnellen Stichen die Haut über dem gerichteten Knochen zusammenzogen. Katharinas Worte vom vergangenen Nachmittag kamen ihr in den Sinn: Nicht zu fest ziehen, aber auch nicht zu locker lassen.
    Ludwig stöhnte leise. Besorgt blickte der Maure auf. »Er darf sich auf keinen Fall bewegen, der Knochen würde sich verschieben. Haltet ihn ruhig.«
    Das war leicht gesagt. Ludwig war ein kräftiger Junge. Was sollte sie machen, wenn er die Augen aufschlug und sein Bein sah, an dem gerade mit Nadel und Faden gearbeitet wurde? Sie schlang den Arm fest um seinen Kopf und begann erneut die Melodie zu summen. Wo blieb Eckardt nur so lange?
    »Wenn du das Bein nicht aufgeschnitten hättest …« Sie warf einen scheuen Blick auf das krumme Messer, mit dem er einen neuen Faden zurechtschnitt.
    Er blickte kurz auf. »Dann hätte der Knochen seinen Platz nicht wieder eingenommen. Er hatte sich durch die Haut gespießt und konnte nicht zurück.«
    Judith nickte. Das erschien ihr plausibel. »Wird Ludwig wieder laufen können?«
    »Aber ja! Es wird freilich eine Weile dauern. Aber er ist jung, der Knochen wächst bald zusammen. In ein paar Wochen wird er springen wie ein Reh.«
    »Wer hat dir das Heilen beigebracht?«
    »Meine Mutter war eine Wundheilerin. Ich habe ihr oft geholfen.« Ein wehmütiger Zug schlich sich in das fremdartige Gesicht. »Dann hab ich des Kaisers Männer nach den Kämpfen versorgt, dabei habe ich viel gelernt.«
    Katharina hatte Beringar ins Bett gelegt und trat an das Krankenlager. Misstrauisch beäugte sie die Machenschaften des Heilers.
    »Judith, du gehst jetzt besser nach unten, du störst bei der Arbeit.«
    Der Maure prüfte die Leisten, die Vogt Eckardt gebracht hatte, und suchte die geeigneten heraus. Er sah kurz auf. »Die Jungfer hilft mir, den Jungen ruhig zu halten. Ich muss sie noch ein wenig in Anspruch nehmen.« Er ignorierte das unwillige Schnaufen der Amme und sagte zu Judith: »Würdet Ihr die Leisten polstern, indem Ihr Streifen aus Leintuch darum wickelt?« Er reichte ihr das krumme Messer, und sie nahm es mit Ehrfurcht entgegen.
    Aus einer Holzkiste zog er einen kleinen Krug hervor, der eine stark riechende Salbe enthielt. Ohne Katharina eines Blickes zu würdigen,
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