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Das Geheimnis der Äbtissin

Das Geheimnis der Äbtissin

Titel: Das Geheimnis der Äbtissin
Autoren: Johanna Marie Jakob
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dem strengen Geruch erschöpfter Menschenleiber verdrängt. Der Mundschenk ließ Bier und Wein ausschenken, Mägde trugen Platten mit dampfenden Speisen und Körbe voller Brotlaibe auf. Herzhafte Weinsuppe, fette Kapaune und mit verschiedenem Fleisch gefüllte Pasteten hoben die Stimmung der ausgehungerten Ritter.
    Neben Friedrich saß der Vater. Er wirkte müde und blass. Direkt vor ihm türmte sich ein knuspriger Wildschweinbraten, den zwei Knechte hereingetragen und vom Spieß gezogen hatten. Graf Ludwig ignorierte ihn. Sein unruhiger Blick schweifte über die Tafel. Am unteren Ende des Tisches entdeckte er den Narren Karol. Er hob die Hand und nickte ihm auffordernd zu. Karol verdrehte die Augen und sprang von der Bank. Er reichte mit der Nase gerade bis an die Tischplatte und watschelte beim Gehen wie ein alter Erpel. Seine Beine waren nicht nur kurz, sondern auch krumm wie ein Maurensäbel. Er lief schwerfällig zur Stirnseite der Tafel und brabbelte laut vor sich hin: »Mit leerem Magen arbeiten, das ist wirklich eine Zumutung! Und nachher sind die Schüsseln alle leer!«
    Der Mundschenk rief ihm grinsend hinterher: »Deine Witze werden schlechter, wenn du vollgefressen bist!«
    Karol drohte ihm mit der Faust, ohne sich umzudrehen.
    Der Kaiser kaute auf einem großen Stück Wildschweinfleisch und ließ sich Wein nachschenken. Zu seiner Rechten hockte ein Mädchen mit zahllosen Sommersprossen auf der Nase und starrte dem Narren mit großen Augen entgegen. Auch sie sah müde aus.
    Etwas stupste Judith in die Seite. Sida leckte ihr die Hand, Isabella stand neben ihr. »Wie geht es Ludwig?«
    »Oje, ich soll heißes Wasser beschaffen, ich muss mich beeilen. Sag schnell, wer ist das Mädchen neben dem Kaiser?«
    Isabella lachte abfällig. »Das ist seine neue Frau, Beatrix von Burgund.«
    »Seine Frau? Aber sie ist … ein Kind!«
    »Sie ist dreizehn!«
    »Fast so alt wie ich. Das bedeutet …« Judith schlug die Hand vor den Mund.
    »Gar nichts bedeutet es.« Isabella rollte altklug mit den Augen. »Soweit ich weiß, haben sie die Ehe noch nicht vollzogen.«
    »Ist sie jetzt so was wie deine neue Mutt…«
    »Sprich es ja nicht aus!«, fauchte Isabella wütend.
    Der Narr hatte den ersten Possen gerissen, und die Ritter johlten. Erschrocken betrachtete Judith das blasse Mädchen, das unglücklich zwischen den grölenden Gästen saß.
    »Wolltest du nicht Wasser holen?«, fragte Isabella spitz.
    Als sie in die Kemenate zurückkam, zerschnitt der Fremde gerade die Beinkleider ihres Bruders mit einem Messer, das so krumm war wie die Sichel des jungen Mondes. Auf der weißen Haut des Jungen hoben sich seine rehbraunen Hände deutlich ab. Sein Haar fiel ihm ins Gesicht und verdeckte seine Züge.
    »Wo habt Ihr das Wasser geholt? Ihr wart lange unterwegs!« Wieder wunderte sie sich über den seltsamen Klang seiner Worte.
    »Die Magd bringt das Wasser, es muss erst heiß werden.«
    Er ließ die Hände sinken und hob den Kopf. Ein forschender Blick aus seinen schwarzen Augen traf sie, dann senkten lange Wimpern sich herab. »Helft mir bei diesen Kleidern!«
    Während er den Stoff zertrennte, zog Judith die Stoffstreifen vorsichtig beiseite und ließ sie auf den Boden fallen.
    Die Magd Gerlind brachte zwei Eimer heißes Wasser und stellte sie neben dem Lager ab. Mit schmalen Lippen betrachtete sie die Wunde. Die Tür ging ein weiteres Mal auf, und Graf Ludwig trat ein. »Wie geht es ihm, Maure?«
    »Er ist noch immer ohnmächtig, doch das ist gut, denn so verspürt er keine Schmerzen.«
    »Warum wacht er nicht auf?«
    »Er hat eine große Beule am Hinterkopf. Sein Gehirn ist durch den Aufprall betäubt und reagiert mit tiefem Schlaf. Macht Euch keine Sorgen, Herr, sein Schädelknochen scheint heil zu sein.«
    »Scheint? Was heißt das?«
    Gerlind fasste den Grafen am Arm, bevor der Maure antworten konnte. »Kommt, Herr, wir lassen den Heiler allein. Wir stören ihn nur.«
    »Willst du nicht wenigstens hierbleiben?«, protestierte Graf Ludwig. »Er braucht doch Hilfe!«
    »Nein!«, bestimmte der Fremde und deutete mit dem krummen Messer auf Judith. »Sie bleibt! Und schickt mir einen kräftigen Mann, ich muss den Knochen richten.«
    Kurz darauf betrat der alte Eckardt zögernd die Kemenate.
    »Helft Ihr mir?«, fragte der Maure. Ohne eine Antwort abzuwarten, drückte er ihm ein Leintuch in die Hand.
    Judith wollte schreien, als der Heiler das blanke Messer zuerst in das heiße Wasser tauchte und dann am Bein ihres Bruders
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