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Das geheime Prinzip der Liebe

Das geheime Prinzip der Liebe

Titel: Das geheime Prinzip der Liebe
Autoren: Hélène Grémillon
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Annies Auftauchen in der Auffahrt lauerte, um sie in der Halle abzufangen und ihr von der Gardine zu erzählen, damit sie ihn nicht verriet.
    »Ich habe Elisabeth gesagt, dass du nicht schwanger bist, ich habe ihr von der Gardine erzählt, die du im Fenster eingeklemmt hast, um mich zu verständigen.«
    Vielleicht hatte Paul Annie am Arm gepackt, um sie zurückzuhalten, aber sie hatte sich losgemacht, war nicht länger in der Halle geblieben als an den anderen Tagen, immer sein verächtliches Duzen, dieser elende Dünkel, Annie verabscheute diesen Mann. Sie ahnte schon, dass Elisabeth nicht aufgeben würde, sie kannte seine Frau besser als er, deshalb sagte sie so ruhig, wie sie vermochte:
    Ich bin einverstanden, dass wir weitermachen, bis es klappt.

    Diesem Rüpel widersprechen, damit es stattfand, dieses erneute Tête-à-Tête, diesen Hochmütigen auf seinen Platz verweisen, ihn ebenfalls duzen. Paul war sprachlos von diesem Affront, er blinzelte rasch, ging hinaus.

    Paul wusste, dass Annie nicht schwanger war, nicht wegen irgendeiner Gardine, ganz einfach, weil nichts passiert war beim ersten Mal, zwischen ihm und Annie im »Zimmer ohne Wände«, aber Liebe und Hellsichtigkeit bilden nie ein Paar, und Elisabeth hat immer das Gegenteil geglaubt.

    Durch welche Regung, welches Wort, welches Schweigen Paul und Annie Gefallen aneinander gefunden haben, wissen nur sie allein. Der Moment, da sie angefangen haben, sich zu lieben. Wo Pauls Lüge schließlich Wahrheit wurde und die Gardine aus weißem Musselin ihr Code, ihre Komplizenschaft.

    Wenn Elisabeth die Liebenden in der unfruchtbaren Stellung beobachtete, hatte sie niemals ihre leisen Worte vernommen. Ihr Zorn, sie nicht verstehen zu können, hatte ihr das Wesentliche verborgen. Ihr Flüstern in der Einsamkeit, verwirrend, verdächtig? Warum mussten sie so leise sprechen, wenn sie doch meinten, allein zu sein?

    Elisabeth hätte ihn erkennen müssen, diesen unsichtbaren Beweis für das Zusammensein, von dem sie nichts ahnte, diese Gewohnheit, die die Liebenden von ihrem Beisammensein an anderen Wochentagen bewahrten, weil ihnen der Sonnabend nicht mehr ausreichte, wo sie sich nicht allein wähnten, wo auch Elisabeth in L’Escalier war.

    Wenn abends, als er in die Auffahrt kam, die Gardine aus dem »Zimmer ohne Wände« im Fenster klemmte und ein bisschen flatterte in der frischen Luft, war dies das Zeichen, dass in der Nacht die Geliebte ihren Liebsten erwartete.

    Das Licht sehen.
    Louis trat voller Zorn in die Pedale. Bis zum Teich waren es nur noch ein paar hundert Meter. Als er an L’Escalier vorbeikam, wurde er langsamer, ein Reflex … Er hielt nach Annies Fahrrad Ausschau, irgendwo, an eine Mauer gelehnt. Aber es gab kein Lebenszeichen, nur eine Gardine wehte, die in der Glastür eines Zimmers im Erdgeschoss eingeklemmt war. Wie ein Gespenst.
    Nur eine Gardine wehte, eingeklemmt in der Glastür eines Zimmers im Erdgeschoss, das Zeichen, dass die Geliebte ihren Liebsten erwartete.

    Annie war nicht tot.
    Stein-Papier-Schere. WASSER. Annies Körper ist niemals aufgetaucht.
    Aber Jacques hatte Elisabeth gesagt, dass man die Leiche gefunden habe.
    Die Gerüchte aus dem Dorf sind unergründlich ... man weiß nie, wer die Wahrheit entstellt.

    Elisabeth hätte es erraten müssen.
    Jacques, vielleicht damit beschäftigt, ein paar Hasenfallen aufzustellen oder Holz zu schlagen, hatte gesehen, wie Annie am Teich ankam, ihr Fahrrad auf den Boden warf, ihre Taschen mit Steinen füllte und sich an der tiefsten Stelle ins Wasser fallen ließ.
    Er war so schnell gerannt, wie er konnte, wie sein totes Bein es ihm erlaubte. Er war ins schlammige Wasser gesprungen, er sah sie nicht mehr. Schließlich, nach langen Minuten, hatte er Annies Körper unter den Händen gespürt, schwer von Steinen. Er hatte sie herausgezogen und nach L’Escalier getragen.

    Annie phantasierte und wiederholte immer wieder einen Satz. Also hatte Jacques es getan, trotz der Kälte:
    Das Fenster aufmachen! Das Fenster aufmachen! Das Fenster aufmachen!
    Und die Gardine hatte wieder begonnen zu flattern, wie in den Zeiten der Liebe, als die Geliebte ihren Liebsten erwartete.

    Annie war nicht tot, und Elisabeth hatte es plötzlich entdeckt, eines Tages, unten an der Treppe meines Hauses. Sie war plötzlich erblasst, diese Gestalt im Hof, unter Tausenden hätte sie sie erkannt.
    Beim Treppensteigen hatte sie meinen Arm umklammert. Er war nicht mehr so dünn wie zu Zeiten des Marionettenspiels.
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