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Das Gegenteil von Schokolade - Roman

Das Gegenteil von Schokolade - Roman

Titel: Das Gegenteil von Schokolade - Roman
Autoren: Mirijam Muentefering
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versuchst du immer noch, eine Schublade zu finden, in die wir alle reinpassen …«
    Das kann ich nicht auf mir sitzen lassen.
    »Stimmt nicht! Von Schubladen bin ich weit entfernt. Ich möchte nur gern wissen, ob ich mit manchen Dingen, die zu mir gehören, gleich auffallen würde.«
    »Frauke, jetzt mal ganz ehrlich. Ich finde, du hast da wirklich Fortschritte gemacht. Ich weiß noch, vor etwa einem Jahr, als Angela und ich uns kennen lernten, da bist du jedes Mal rot angelaufen, wenn ich das schlimme Wort in den Mund genommen habe. Und meine Freundinnen waren dir alle nicht geheuer, weil du dachtest, alle Lesben würden sich auf jede große, schlanke, blonde Frau mit kurzen Haaren gleich draufstürzen, um sie zu bekehren. Du hattest echt Schiss.«
    »Jetzt ja nicht mehr. Aber trotzdem weiß ich, dass ich nicht dazugehöre. Ich bin eben keine von euch.«
    Auf Michelins Stirn erscheint eine unliebsame Falte. »Ach, Frauke, hör doch auf mit so was. Es gibt sie nicht, die Lesben. Genauso wenig wie es die Heten gibt. Wenn du dich in eine Frau verlieben würdest, dann wärst du genauso eine von uns wie ich.«

    Aber das wird natürlich nicht passieren.
    Ich meine, es ist doch lachhaft, auch nur darüber nachzudenken. Niemand verliebt sich in einen Menschen, nur weil man ihm ein bisschen dabei zugeschaut hat, was er so an Kommentaren zu den Gesprächen anderer beizutragen hat. Schon gar nicht, wenn das Aussehen und möglicherweise das Geschlecht dieses Menschen doch sehr im Unklaren liegen.
    Da kann man noch so sehr herumdeuteln, ob solch eine Begegnung womöglich schlicht und ergreifend einfach Wünsche freisetzt und dann wiederum Projektionen ablaufen, die uns vorgaukeln, in dieser Person warte die Erfüllung all unserer Träume auf uns.
    Herumdeuteln kann man viel. Will ich aber nicht.
    Und deswegen schiele ich heute nicht zum Computer. Heute glotze ich ihn offen an.
    Sie hat nichts davon gesagt, dass sie heute Abend wieder im Netz sein wird. Sie hat nichts gesagt davon, dass wir uns noch einmal unterhalten werden. Trotzdem stiere ich meinen Rechner an und werfe genervte Blicke auf die große Kaminuhr, die ich auf dem Flohmarkt erstanden habe und die in unserer Wohnung tatsächlich auf dem kleinen Kaminsims stand und nun in meinem selbst gezimmerten Bücherregal immer ein wenig deplatziert wirkt.
    Lothar hatte nicht gewollt, dass ich sie bei ihm ließ. Mein Argument, dass eine Kaminuhr nun einmal einen Kaminsims braucht, hat nicht gezogen. Er hat einfach darauf geantwortet, dass er sicher ist, dass ich irgendwann einmal wieder genau den richtigen Platz für sie finden werde.
    Silbermondauge kommt immer spät ins Netz.

    Ich hänge seit neun Uhr hier herum und warte auf sie.
    Warum kommt sie immer erst so spät? Jetzt haben wir fast elf.
    Dabei könnte ich glatt die Nerven verlieren. Vor allem, weil die Mädels hier heute nur Unsinn erzählen. Es werden in erster Linie Cocktails erörtert. Beim Thema Alkohol trennt sich nämlich die Spreu vom Lesben-Weizen, wie ich in der letzten halben Stunde gelernt habe. Diejenigen, die am allerliebsten ein gepflegtes Bierchen trinken, stehen vollkommen außen vor. Das versteht sich von selbst.
    Dann gibt es jedoch den gewaltigen Unterschied, der die Parteien der »Hochprozentigen« von denen der »Süßmäuler« trennt.
    Die einen bestellen sich sieben Tequila auf einmal und schütten sie in zehn Minuten einen nach dem anderen runter. Oder sie schwören auf den klassischen Whiskey on the rocks.
    Die anderen legen eher Wert auf die sündig hohen Preise, die ihre alkoholischen Getränke erst zu dem Luxus machen, als den sie ihn darstellen. Diese Fraktion sitzt gerne in lauschigen Cocktailbars, schlürft an ihrem scharfen »Hot Miss Marple« oder cremigen »Sugar babe« und sieht selbstverständlich verächtlich auf diejenigen herab, die den Alkohol ohne die Verzierung von Sahnehäubchen und bunten Schirmchen bevorzugen.
    Ich weiß ja nicht, aber ich komme mir hier wirklich vor wie ein kleines grünes Männchen, weil ich niemals derart leidenschaftlich über solche Themen diskutieren könnte.
    Wie einsam muss man eigentlich sein, um sich darauf einzulassen?, denke ich und erschrecke.
    Könnte es sein? Könnte es wirklich und wahrhaftig sein, dass diese Frauen hier – sofern es wirklich alles Frauen sind – alle einsam sind und sich deswegen ihre Zeit mit diesem dummen Gequatsche vertreiben müssen?
    Eine Notgemeinschaft von Einsamen, die durch ihre Lebensumstände gezwungen sind,
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