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Das Geflecht

Das Geflecht

Titel: Das Geflecht
Autoren: Andreas Laudan
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mit viel Schlimmerem gerechnet.»
    «Ich auch», gab der Arzt zu. «Wir haben bislang keine Erklärung dafür. Aber meine Kollegen von der Mikrobiologie, die den Pilz untersuchen, haben eine Hypothese aufgestellt.»
    «Die da lautet?»
    «Na ja, soweit wir bis heute wissen, werden nur Pilze, die den Pigmentstoff Melanin enthalten, durch Radioaktivität zu beschleunigtem Wachstum angeregt. Und tatsächlich ist dieser merkwürdige Höhlenpilz geradezu vollgepackt mit Melanin. Nun müssen Sie wissen, dass Melanin ein Stoff ist, der auch in der menschlichen Haut vorkommt: Er schützt sie nämlich   …»
    «…   vor Strahlung!» Tia schlug sich vor die Stirn. «Jetzt begreife ich! Die ganze Höhle war von diesem Pilz überwuchert, er wuchs auch auf den Fässern.»
    «Ja», bestätigte der Arzt. «Und indem der Pilz die radioaktiven Substanzen überwucherte, hat er die Strahlung gleichzeitig abgeschirmt, auf ähnliche Weise, wie das Melanin der menschlichen Haut die U V-Strahlen der Sonne filtert.»
    «Dann hat dieses Monstergewächs uns also das Leben gerettet?», fragte Justin ungläubig.
    «Höchstwahrscheinlich», nickte Doktor Trondheim. «Zumindest hat es die Strahlung, der Sie ausgesetzt wurden, deutlich reduziert. Glücklicherweise lagerten in der Höhle ja auch keine hochreaktiven Materialien. In der Zeitung habe ich gelesen, dass es sich um sogenannte Tailings handelte, also radioaktiv belasteten Schlamm.»
    «Stimmt!», bestätigte Carolin. «Der Artikel war übrigens von mir.»
    «Ach – tatsächlich? Dann sind Sie also die Journalistin, die die ganze Angelegenheit aufgeklärt hat?»
    «Da tun Sie mir zu viel der Ehre an», wehrte Carolin bescheidenab. «Es war nicht weiter schwierig, die Zusammenhänge herzustellen, nachdem Justins Vater ein Geständnis abgelegt hat. Ich war bei der Presseerklärung der Polizei dabei, habe ein wenig auf eigene Faust nachgeforscht und konnte mir die Hintergründe zusammenreimen. Maßgeblich in die Sache verwickelt ist ein Politiker namens Wildhauer. Der Mann ist Staatssekretär, aber gleichzeitig Anteilseigner eines Unternehmens, das eine Wiederaufbereitungsanlage für radioaktive Abfälle betreibt.»
    «Sieh mal an!», warf Leon ein. «Der übliche Filz also.»
    «Sieht ganz danach aus. Jedenfalls kam es in dieser Anlage vor zehn Jahren zu einem Unfall: Ein Behälter mit radioaktiver Salzlauge schlug leck, und die Flüssigkeit durchtränkte ein paar hundert Kubikmeter Erdreich. Bei der nächsten Routinemessung des Bundesamts für Strahlenschutz wäre der Unfall entdeckt worden, und dann hätte man der Firma die öffentlichen Aufträge entzogen. Also musste die verseuchte Erde verschwinden. Wildhauer sorgte dafür, dass sie abgetragen und in Fässer gefüllt wurde. Sein Plan bestand darin, sie rechtswidrig ins Ausland zu bringen und in einer osteuropäischen Untertagedeponie verschwinden zu lassen. Das Problem war nur der Transport, denn für die Umgehung der Grenzkontrollen brauchte er jemanden mit einschlägiger Erfahrung. Deshalb nahm er Kontakt zu diesem Böttcher auf, der schon seit langem illegale Transporte organisierte. Gegen Böttcher lief damals bereits ein Ermittlungsverfahren. Wildhauer machte einen Deal mit ihm: Er sorgte dafür, dass das Verfahren eingestellt wurde, gab Böttcher eine hübsche Stange Geld – wie viel, ist bis jetzt noch unklar – und vertraute ihm die brisante Ladung an. Böttcher schweigt bisher über alles Weitere, aber man kann es sich leicht zusammenreimen. Offenbar scheute er das Risiko und beschloss, seinen Auftraggeber übers Ohr zu hauen: Er sacktezwar das Geld ein, schaffte die Fässer aber nicht außer Landes   …»
    «…   sondern überredete meinen Vater, sie in dem alten Bergwerk verschwinden zu lassen», ergänzte Justin düster.
    Alle schwiegen einen Moment. Schließlich räusperte sich der Arzt.
    «Ich werde ein Gutachten über die Strahlenbelastung erstellen», sagte er. «Ein Gericht würde Ihnen vermutlich eine erhebliche Entschädigung wegen fahrlässiger Körperverletzung zusprechen, falls   …»
    «…   falls wir an den unvermeidlichen Strafprozess noch eine Zivilklage anhängen.» Tia nickte. «Ich persönlich werde darauf verzichten. Mit einem minimal erhöhten Krebsrisiko kann ich leben.»
    «Und ich werde garantiert nicht meinen eigenen Vater verklagen», sagte Justin.
    «Ich auch nicht», schloss Dana sich an.
    Doktor Trondheim zuckte die Achseln. «Das müssen Sie natürlich selbst entscheiden. Ich kann
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