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Das fuenfte Maedchen

Das fuenfte Maedchen

Titel: Das fuenfte Maedchen
Autoren: Gillian Philip
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zog sich wieder nach oben. Noch immer halb blind.
    Ich wollte aufstehen und laufen, aber ich konnte es nicht, konnte es nicht, meine Füße würden mich nicht tragen. Ich krabbelte auf allen vieren. Er versuchte, mich mit einer Hand zu packen, aber er hatte nicht genug Halt und umklammerte wieder das Gras. Ich nahm immer wieder, so schnell ich konnte, eine Handvoll Kies, schleuderte sie ihm ins Gesicht, so fest ich konnte, wagte es nicht, näher heranzugehen. Doch der Kies war in seinen Augen und er kreischte wie ein Mädchen. Er ließ das Gras los, legte die Hände schützend über sein Gesicht.
    Seine Füße suchten noch immer nach einem Halt, seine Finger griffen zu spät nach einer Handvoll Gras – und er rutschte, holperig, über den Rand.
    Ich hörte Steine rollen und aufprallen und fallen, doch ihn hörte ich nicht, und ich wagte es nicht, hinzusehen. Ich wich von dem Abgrund zurück, wagte es nicht, hinunterzuschauen. Wenn ich es tat, würde auch ich fallen. Selbst jetzt hatte ich das Gefühl, in der Luft zu schweben.
    Nur dass ich nicht schweben würde. Ich würde wie Alex Jerrold landen, ein Fleischsack unten auf den Felsen. Kein Laster, um meinen Fall abzubremsen.
    Ich starrte auf den Klippenrand, wartete und wartete, weil ich wusste: Ich wartete auf den Ruck in meiner Brust, der ein menschliches Wesen war, das auf dem Boden auftraf. Es war nicht passiert.
    Am Klippenrand bewegte sich etwas; das lange Gras wurde vom Gewicht eines kletternden Körpers platt gedrückt. Ich hörte Atmen.
    Seine Handknöchel tauchten auf, weiß, griffen nach einer vorstehenden Steinplatte. Sie krochen höher, qualvoll, Millimeter um Millimeter. Auch die andere Hand tauchte auf; Finger legten sich um den Rand der Steinplatte. Der Stein war nicht mehr als einen halben Meter breit, und man konnte sehen, dass er sich von trockenen Wurzeln, Gras und Sand leicht zu lösen begann.
    Er kochte vor Wut, keuchte vor Schmerzen.
    Ich wusste nicht, ob ich mit mir würde leben können. Ich wusste nur, dass ich leben wollte. Ich konnte nicht auf seine Finger treten, das konnte ich nicht, doch ich steckte meine Ferse in die breiter werdende Lücke zwischen Stein und Klippe, und ich bearbeitete den Stein so lange, bis er sich löste und damit auch seine Finger. Ich hörte, wie er überrascht Luft holte. Und dann blieb die Zeit stehen. Etwas, das kein Stein und kein Sand war, stürzte den Abhang hinab.
    Stille. Ich schloss die Augen, und der Ruck in meiner Brust fühlte sich an wie ein zusätzliches Herz, das zu schlagen aufhörte.

Epilog
    Er hatte mir ein Eis mit Schokoriegel gekauft. Als er mir die Tüte reichte, starrte ich sie an und rümpfte die Nase.
    Â»Du hast Vanille gesagt.«
    Â»Ja, ja.« Ich nahm den Riegel vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger und reichte ihn ihm. »Hier, den kannst du haben.«
    Er nahm ihn, steckte ihn neben den Riegel in seiner eigenen Eistüte. Wir saßen auf der Mauer am Meer, den Dünen zugewandt, die Stadt in unserem Rücken. Die Welt beziehungsweise Breakness als kleiner Ausschnitt davon wirkte leuchtend hell. Seit Wochen gab es schon Regenstürme. Das Wasser ergoss sich sintflutartig aus einem schwarzen Himmel; war der Sturm dann vorbei und der Himmel wieder blau, war die Welt sommergrün und rein gewaschen und glänzte hell. Oben auf den Klippen würde es rutschig sein. Ich biss in mein Eis.
    Â»Er ist heute aus dem Krankenhaus entlassen worden. Sie haben ihn sofort ins Gefängnis gebracht.«
    Ich zögerte, nickte. »Gut.«
    Â»Dann hör auf zu zittern. Bist du nicht froh?«
    Â»Bist du froh?« Ich drehte den Kopf zur Seite, um Tom Jerrolds Gesicht zu studieren.
    Der Aufblasbare George war nicht gefallen. Er landete direkt am Fuß der Klippe, war aber nicht gefallen, sondern gerutscht. Er wäre vielleicht gestorben, wenn er richtig durch den Raum gefallen wäre, doch das tat er nicht. Und das war mein Glück, denke ich – dass George nicht gefallen war. Ihm war sein Leben geblieben.
    Aber ich hatte meines ebenfalls zurück. Man muss gerecht sein.
    Ich hätte noch ein bisschen länger in dem Haus bleiben können, dem Haus, das Lara und Jinn und ich geteilt hatten, aber das wollte ich nicht. Es spukte zu sehr darin, wobei mich nicht so sehr die Geister störten, sondern die Traurigkeit. Als das Wohnungsamt mir eine neue Bleibe gab, eine Doppelhaushälfte
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