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Das fuenfte Imperium

Titel: Das fuenfte Imperium
Autoren: Viktor Pelewin
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lag da noch eine Batterie Einmalkanülen mit grünen Muffen auf dem Tisch.
    »Was ist das denn?«, fragte ich.
    »Also«, sagte Loki. »Siehst du die Spritze hier? In ihr ist das Nervengift. Es führt zu einer praktisch vollständigen Lähmung des Körpers, die circa vierzig Stunden andauert. Die Spritze wird über einen Elektroantrieb betätigt, der vom Computer angesteuert wird. Deine Lyrik wird unverzüglich einer dir bekannten Person zugeleitet, die jedoch nicht erfährt, welches Gedicht von dir ist und welches von Mitra. Hat sie beide gelesen und den Sieger gekürt, wird die Entscheidung genauso schnell zurückübermittelt. Dann wird bei einem von euch der an der Spritze hängende Servomotor in Gang gesetzt. Nach der Injektion wird die Duellorder verlesen und umgehend zur Ausführung gebracht. Noch Fragen?«
    »Nein.«
    »Dann setz dich bitte an den Computer.«
    Ich gehorchte.
    »Den Ärmel hochkrempeln!«
    Als dies getan war, tränkte Loki einen Wattebausch mit Alkohol und schickte sich an, mir damit über die Armbeuge zu reiben.
    »Ich glaube, mir wird gleich schlecht«, sagte ich mit matter Stimme.
    Ich kokettierte durchaus nicht. Die aufsteigende Übelkeit rührte allerdings weniger von Lokis Verrichtungen her als von dem geschluckten Präparat.
    »Du hast es nicht anders gewollt«, sagte Loki. »Hättest du vorher ein bisschen nachgedacht ... Gleich gibt es einen kleinen Pieks.«
    »Au!«, rief ich und zuckte zurück.
    »Gut, gut. Jetzt mal den Arm stillhalten, ich will die Binde festziehen. So ...«
    »Wie soll ich mit dem Arm denn schreiben?«
    »Das geht schon. Behutsam und akkurat! Zeit hast du mehr als genug, da kannst du getrost mit einem Finger tippen ... Sieh her auf den Bildschirm.«
    Ich tat es.
    »In der oberen Ecke siehst du eine Uhr. Die wird in dem Moment gestartet, wo Mitra und dir die Themen für die Gedichte verkündet werden.«
    »Sind es denn verschiedene Themen?«
    »Das werden wir sehen. Jeder von euch hat exakt dreißig Minuten Zeit. Wer nach dreißig Minuten kein Gedicht präsentiert hat, verliert automatisch. Bist du bereit?«
    Ich zuckte die Schultern.
    »Also. Fertig.«
    Loki zog sein Handy aus der Tasche, tippte eine Nummer, hielt es sich ans Ohr.
    »Funktioniert alles bei euch?«, fragte er. »Sehr schön. Dann wollen wir mal.«
    Er legte das Handy zur Seite und drehte sich zu mir um.
    »Die Zeit läuft!«
    Auf dem Bildschirm des Notebooks waren zwei Rechtecke aufgetaucht. Über dem linken stand Mitra , über dem rechten Rama. Nun erschienen in ihnen - Buchstabe für Buchstabe, so als schriebe jemand Schreibmaschine - die Themen für die Gedichte. Mitras Thema hieß: Die Mücke. Meines: Der Fürst dieser Welt.
    Wie günstig! dachte ich mir. Dazu hatte dieser Tjuttschew, mit dem ich schon die ganzen letzten Minuten spürbar in Kontakt stand, eine Menge zu sagen.
    Ein Problem bestand nur darin, dass die zur Verpackung meiner Gedanken mitgelieferten Worthülsen erstaunlich beschränkt und eintönig waren. Der im russischen Internet grassierende Neusprech, das sogenannte »Albanische«, schien trotz seiner Jugend bereits eine tote Sprache zu sein. Aber gut, um die Form des Ganzen wollte ich mich zuletzt bekümmern - erst einmal musste ich mit dem Inhalt zurechtkommen. Also ging ich daran, die mir aufgetanen geistigen Horizonte gründlich auszuloten.
    Vom Leben im neunzehnten Jahrhundert erfuhr ich nicht viel Spannendes. Dafür begriff ich sehr schnell, was jener berühmte Tjuttschewsche Vierzeiler besagen wollte:
Verstand wird Russland nie verstehn, Kein Maßstock sein Geheimnis rauben; So wie es ist, so lasst es gehen -
An Russland kann man nichts als glauben.
    Der Dichter wollte nämlich annähernd auf dasselbe hinaus wie die Schöpfer meiner geliebten Filmtrilogie Aliens.
    Der Film zeigt, wie im Inneren eines fremden Organismus eine effektive Form von Leben entsteht, das sich nach einiger Zeit auf originelle und überraschende Weise bemerkbar macht. In der Geschichte Russlands geschah Vergleichbares, nur dass dieser Prozess nicht einmalig, sondern zyklisch wiederkehrend war; im Bauch des einen Monsters wuchs das nächste heran. Die Leute damals spürten das instinktiv -doch was Sentenzen wie:
Aus der bröckelnden Routine imperialer Politik traten die flammenden Konturen einer neuen Welt hervor.
    oder:
Bereits von den siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts an ging Russland mit der Perestroika schwanger.
    recht eigentlich zu bedeuten hatten, war ihnen wohl selbst nicht immer
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