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Das fuenfte Imperium

Titel: Das fuenfte Imperium
Autoren: Viktor Pelewin
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Sanitärgotik. Ich nahm Platz auf einer Art gnostischem Thron, schwarz, mit Loch in der Mitte, und suchte meine Gedanken zusammenzunehmen. Es gelang aber nicht - die Gedanken wollten partout nichts miteinander zu tun haben. Sie waren gar nicht mehr richtig da. Ich empfand weder Angst noch Aufregung, war überhaupt nicht in Sorge, wie das Ganze weitergehen würde.
    Erst beim Verlassen der Toilette fiel mir auf, dass ich unbewacht war. Auf dem Flur kein Mensch. In der Küche auch nicht. Die Tür zur Hintertreppe, über die ich hereingekommen war, lag nur ein paar Schritte von der Küche entfernt. Aber ich dachte nicht daran zu fliehen, das war das Seltsamste. Ich wusste, dass ich gleich ins Zimmer zurückkehren und mein Gespräch mit Mitra fortsetzen würde.
    Wieso fliehe ich nicht? fragte ich mich.
    Irgendetwas sagte mir, dass das nicht ratsam war. Bei dem Versuch zu erkunden, woher ich diese Überzeugung nahm, machte ich eine äußerst seltsame Feststellung. Mein Verstand hatte gewissermaßen einen neuen Schwerpunkt: etwas wie eine schwarze Kugel, die so stabil und unerschütterlich war, dass die Seele getrost darauf bauen konnte, um in der Balance zu bleiben. Dort wurde neuerdings über Tun und Lassen entschieden. Der Fluchtgedanke war auf dieser Waage abgewogen und für zu leicht befunden worden.
    Die Kugel wollte, dass ich zurückging. Und weil die Kugel es wollte, wollte ich es auch. Wobei die Kugel mir nicht erst mitteilte, was sie wollte. Sie rollte einfach auf die Seite, wo die richtige Entscheidung lag, und ich rollte mit. Darum also hat Mitra mich allein aus dem Zimmer gehen lassen! dachte ich mir. Weil er wusste, dass ich nicht weglaufe. Er hatte wohl auch so eine Kugel in sich drin.
    »Was ist das?«, fragte ich, kaum dass ich das Zimmer wieder betreten hatte.
    »Wovon sprichst du?«
    »Ich hab da jetzt in mir so einen Kern. Alles, was ich zu denken versuche, geht da durch. Als hätte ich ... meine Seele verloren.«
    »Deine Seele? Wozu brauchst du denn die?«
    Ich muss sehr entgeistert dreingeschaut haben, denn Mitra brach in Lachen aus.
    »Die Seele. Bist du das, oder bist das nicht du?«, fragte er.
    »Wie meinst du das?«
    »Wie ich es frage. Was du Seele nennst - bist das du, oder ist das was anderes?«
    »Ich denke, das bin ich ... Oder nein, wahrscheinlich doch noch was anderes ...«
    »Lass uns logisch rangehen. Ist die Seele was anderes als du - was bekümmert sie dich dann? Und bist du es selber -wie könntet ihr einander verlieren?«
    »Ah ja, ich seh schon«, sagte ich, »blauen Dunst vormachen kannst du.«
    »Dir bringen wir das auch noch bei ... Aber mir ist schon klar, warum du dich so heiß machst.«
    »Ja?«
    »Das ist der Kulturschock. In der Mythologie der Menschen gilt es als ausgemacht: Wer zum Vampir wird, der verliert seine Seele. Das ist Unfug. Es wäre dasselbe, als wenn man sagte, ein Boot verliert seine Seele, nur weil man einen Motor anbringt. Du hast nichts verloren. Nur etwas dazugewonnen. Und zwar so viel, dass alles, was du vorher zu haben glaubtest, zu einem Nichts zusammenschrumpft. Daher das Verlustgefühl. «
    Ich setzte mich auf das Sofa, wo vor Kurzem noch die Leiche des Mannes mit der Maske gelegen hatte. Es hätte mich eigentlich gruseln müssen, auf diesem Platz zu sitzen, doch die schwere schwarze Kugel in mir scherte das nicht.
    »Ich habe kein Verlustgefühl«, sagte ich. »Ich habe nicht einmal das Gefühl, ich selber zu sein.«
    »Korrekt«, sagte Mitra. »Du bist ja auch ein anderer jetzt. Was dir wie ein Kern vorkommt, ist in Wahrheit die Zunge. Bis vor Kurzem hat sie in Brahma gelebt, jetzt lebt sie in dir.«
    »Das hat Brahma auch gesagt, entsinne ich mich. Die Zunge würde auf mich übergehen.«
    »Aber glaub nur nicht, dass es Brahmas Zunge war. Brahma hat der Zunge seinen Körper geliehen, nicht umgekehrt.«
    »Wessen Zunge ist es dann?«
    »Es ist nicht so, dass sie jemandem gehörte. Sie gehört sich selbst. Die Persönlichkeit eines Vampirs teilt sich in Kopf und Zunge. Der Kopf ist der menschliche Faktor. Die soziale Person mit allem Sack und Pack und Gerümpel. Die Zunge ist das zweite Persönlichkeitszentrum, das wichtigere. Sie macht dich zum Vampir.«
    »Und was ist das - die Zunge?«
    »Ein lebendiges Geschöpf der anderen, höheren Art. Die Zunge ist unsterblich und geht von einem Vampir auf den anderen über - sie sattelt um, sollte man wohl sagen, wie ein Reiter. Weil sie nun einmal nur in Symbiose mit einem Menschen existieren kann. Da,
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