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Das fremde Haus

Das fremde Haus

Titel: Das fremde Haus
Autoren: Sophie Hannah
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durchs Fenster zu spähen. Ich hatte solche Angst, beim unbefugten Betreten des Grundstücks erwischt zu werden, dass ich mich gar nicht richtig konzentrieren konnte. Ein paar Sekunden später trat ein alter Mann mit den dicksten Brillengläsern, die ich je gesehen habe, aus dem Nachbarhaus und wandte seine enorm vergrößerten Augen in meine Richtung. Ich hastete zum Auto zurück, bevor er mich fragen konnte, was ich hier zu suchen hätte. Und so blieb mir von dem Zimmer wenig mehr in Erinnerung als weiße Wände und ein graues, L-förmiges Sofa mit komplizierten roten Stickereien darauf.
    Jetzt betrachte ich ebendieses Sofa auf meinem Computerbildschirm. Es ist eigentlich nicht grau, sondern mehr eine Art wolkiges Silber. Es sieht teuer aus, wie ein Unikat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es noch mehr solcher Sofas gibt.
    Kit liebt Unikate. Soweit es irgendwie möglich ist, meidet er Massenprodukte. Alle Becher in unserer Küche sind individuell von einer Töpferin aus Spilling gefertigt und bemalt.
    Jedes einzelne Möbelstück in dem Wohnzimmer auf meinem Monitor wirkt wie ein Einzelstück: ein Stuhl mit enormen geschwungenen Armlehnen, die aussehen wie die Unterseiten eines Ruderboots, ein ungewöhnlicher Glastisch mit so etwas wie einem liegenden Schaukasten mit sechzehn Fächern unter der Glasplatte. Jedes Fach enthält eine kleine Blüte mit einem roten Kreis in der Mitte und blauen Blütenblättern, die nach oben Richtung Glasplatte zeigen.
    Alle diese Möbel würden Kit gefallen. Ich schlucke und sage mir, dass das gar nichts beweist.
    Es gibt einen gekachelten Kamin, über dem eine große gerahmte Landkarte hängt, einen Kaminsims, Nischen zu beiden Seiten. Ein symmetrischer Raum, ein Raum ganz nach Kits Geschmack. Mir ist leicht übel.
    Herrgott noch mal, das ist doch verrückt . Wie viele Wohnzimmer sind in diesem Land nach demselben Grundmuster gebaut: Kamin, Kaminsims, Nischen rechts und links davon? Es ist ein klassisches Design, auf der ganzen Welt verbreitet. Kit spricht es an, ebenso wie Millionen anderer Leute auch.
    Es ist schließlich nicht so, als würde seine Jacke über dem Treppengeländer hängen oder sein gestreifter Schal auf einem Stuhl liegen …
    Rasch, weil ich mit dieser Aufgabe fertig werden will, die ich mir selbst auferlegt habe, – im Bewusstsein, dass ich mich dadurch nicht besser fühle, sondern schlechter –, arbeite ich mich durch die übrigen Zimmer und vergrößere die Fotos. Flur und Treppe, mit beigem Teppichboden ausgelegt, ein klobiges Treppengeländer aus dunklem Holz. Ein Hauswirtschaftsraum mit himmelblauen Schrankfronten wie die in der Küche. Honigfarbener Marmor im Badezimmer – sauber und ostentativ teuer.
    Ich klicke ein Bild des Gartens an. Der Garten hinter dem Haus ist viel größer, als ich erwartet hätte, schließlich habe ich das Haus immer nur von vorne gesehen. Ich scrolle zum Text unter den Fotos und erfahre, dass er etwas über viertausend Quadratmeter groß ist. Es ist die Art Garten, die ich wahnsinnig gern hätte: es gibt eine Terrasse mit einem Tisch und Stühlen, eine Hollywoodschaukel, eine riesige Rasenfläche, Bäume und dahinter üppige gelbe Felder. Ein idyllischer Blick in die Landschaft, fußläufig zehn Minuten vom Zentrum von Cambridge entfernt. Allmählich fange ich an zu verstehen, warum das Haus 1,2 Millionen kosten soll. Ich versuche, das, was ich sehe, nicht mit unserem Garten zu vergleichen, der ungefähr so groß ist wie eine halbe Einzelgarage. Er bietet gerade mal genug Platz, um einen schmiedeeisernen Gartentisch, vier Stühle und ein paar Pflanzen in Terrakottatöpfen unterzubringen.
    Das war’s. Ich habe mir alle Fotos angesehen. Ich habe alles gesehen, was es zu sehen gibt.
    Und nichts gefunden. Bist du jetzt zufrieden?
    Ich gähne und reibe mir die Augen. Gerade will ich die Roundthehouses-Website schließen und wieder ins Bett gehen, als mir unter dem Foto des Gartens eine Reihe von Buttons auffällt: »Street View«, »Grundriss«, »virtueller Rundgang«. Den Blick von der Straße aus brauche ich nicht– den habe ich in den letzten sechs Monaten reichlich genossen –, aber ich könnte mir den Grundriss ansehen, wenn ich schon mal dabei bin. Ich klicke auf den Button und fast sofort danach auf das x, um die Seite wieder zu schließen, die gerade erschienen ist. Es wird mir nicht helfen, wenn ich weiß, welcher Raum sich wo befindet, mit dem virtuellen Rundgang ist mir besser gedient. Werde ich das Gefühl haben,
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