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Das fremde Haus

Das fremde Haus

Titel: Das fremde Haus
Autoren: Sophie Hannah
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schreie ich ihn an. »Es ist kein Traum. Geh da rein und sieh selbst!«
    Er schaut wieder auf meine Füße, auf die Blutspuren auf dem Teppich und den Dielen – eine gepunktete rote Linie, die zur Schlafzimmertür führt. »Was ist mit dir passiert?«, fragt er. Wirke ich schuldbewusst? »Was ist hier los?« Der besorgte Tonfall ist verschwunden, seine Stimme ist hart und voller Misstrauen. Ohne meine Antwort abzuwarten, marschiert er in Richtung Gästezimmer.
    »Nein!«, stoße ich hervor.
    Er bleibt im Flur stehen. Dreht sich um. »Nein? Ich dachte, du wolltest, dass ich mir deinen Computer ansehe.« Ich habe ihn wütend gemacht. Alles, was seinen Schlaf stört, macht ihn wütend.
    Ich kann ihn nicht gehen lassen, bevor ich es erklärt habe oder zumindest versucht habe, es zu erklären. »Ich habe einen virtuellen Rundgang durch ein Haus gemacht. Durch Bentley Grove 11«, sage ich.
    »Was?! Was soll der Scheiß, Connie!«
    »Hör mir zu. Hör einfach zu, ja? Das Haus steht zum Verkauf. Bentley Grove 11 steht zum Verkauf.«
    »Woher weißt du das?«
    »Ich … ich weiß es einfach, okay?« Ich wische mir das Gesicht ab. Wenn ich angegriffen werde, darf ich nicht weinen. Ich muss mich darauf konzentrieren, mich zu verteidigen.
    »Das ist einfach … Connie, das ist dermaßen abgefuckt, ich weiß gar nicht, wo ich …« Kit schiebt sich an mir vorbei, er will zurück ins Bett.
    Ich packe ihn am Arm. »Du kannst nachher wütend sein, aber erst hör mir zu. Ja? Das ist alles, was ich von dir verlange.«
    Er schüttelt mich ab. Ich hasse es, wie er mich ansieht.
    Was hast du denn erwartet?
    »Ich höre dir zu«, entgegnet er ruhig. »Du sprichst seit einem halben Jahr von Bentley Grove 11, und ich höre dir zu. Wann wird das endlich ein Ende haben?«
    »Das Haus steht zum Verkauf«, erkläre ich so beherrscht wie möglich. »Ich habe es bei Roundthehouses gesehen, einem Immobilienportal.«
    »Wann?«
    »Eben gerade, kurz … vorher.«
    »Du hast gewartet, bis ich eingeschlafen war?« Kit schüttelte angewidert den Kopf.
    »Es gibt einen virtuellen Rundgang durch das Haus, und ich … ich dachte, ich könnte ja mal …« Es ist besser, wenn ich es nicht ausspreche. Obwohl er sich natürlich denken kann, was ich mir gedacht habe. »Da war eine Frau, im Wohnzimmer, sie lag mit dem Gesicht auf dem Boden, und alles um sie herum war voller Blut, eine riesige Blutlache …« Von der Beschreibung wird mir so übel, dass ich mich fast übergeben muss.
    Kit tritt einen Schritt zurück und schaut mich an, als hätte er mich noch nie zuvor gesehen. »Also, damit wir uns richtig verstehen: Du bist auf die Roundthehouses-Seite gegangen, hast dir den virtuellen Rundgang von Bentley Grove 11 angesehen, einem Haus, das, wie du zufällig weißt, zum Verkauf steht, und dabei hast du eine tote Frau in einem der Zimmer entdeckt?«
    »Im Wohnzimmer.«
    Er lacht. »Das ist originell, sogar für dich.«
    »Es ist noch auf dem Monitor«, entgegne ich. »Geh doch hin und überzeug dich selbst, wenn du mir nicht glaubst.« Ich zittere, mir ist plötzlich eiskalt.
    Er wird sich weigern. Er wird ignorieren, was ich gesagt habe, und sich wieder hinlegen, um mich zu bestrafen, und weil es unmöglich wahr sein kann. Es kann keine Tote auf der Roundthehouses-Website geben, die in einer Riesenlache ihres eigenen Bluts liegt.
    Kit seufzt. »Gut«, sagt er. »Ich sehe es mir an. Offensichtlich bin ich wirklich der Riesentrottel, für den du mich hältst.«
    »Ich denke mir das nicht aus!«, rufe ich hinter ihm her. Ich will mit ihm gehen, aber mein Körper weigert sich. Jede Sekunde wird Kit das sehen, was ich gesehen habe . Ich kann das Warten kaum ertragen, da ich weiß, was gleich geschehen wird.
    »Klasse«, höre ich Kit sagen. Er redet mit sich selbst. Oder vielleicht redet er auch mit mir. »Ich wollte mir schon immer mal mitten in der Nacht die Geschirrspülmaschine irgendwelcher fremder Leute ansehen.«
    Geschirrspülmaschine . Es muss eine Programmschleife sein. Während ich weg war, hat das Video wieder von vorn angefangen. »Die obligatorische Kücheninsel«, murmelt Kit. »Warum machen die Leute das nur?«
    »Das Wohnzimmer kommt nach der Küche«, sage ich und zwinge mich, auf den Flur hinauszutreten. Noch näher herangehen will ich nicht. Ich kann kaum atmen. Der Gedanke, dass Kit gleich das sehen wird, was ich gesehen habe, ist kaum auszuhalten – niemand sollte so etwas sehen müssen. Es ist zu schrecklich. Gleichzeitig ist es notwendig,
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