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Das Fest

Titel: Das Fest
Autoren: John Grisham
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im Briefkasten haben müssen.
    Nora hatte ihn selten so entschlossen erlebt. Methodisch räumte er all ihre Einwände aus, einen nach dem anderen, bis keiner mehr übrig war — außer der Sache mit den Spenden.
    »Du willst tatsächlich wegen lausiger sechshundert Dollar auf eine Karibikkreuzfahrt verzichten?«, fragte Luther in äußerst sarkastischem Ton.
    »Nein, aber offenbar du«, erwiderte sie kühl.
    Mit diesen Worten zog sich jeder an seine Bettkante zurück und versuchte zu lesen.
    Nach einer Stunde schweigender Anspannung jedoch strampelte Luther die Decke weg, riss sich die Wollsocken von den Füßen und sagte: »Na schön. Spenden wir also genauso viel wie im letzten Jahr. Aber keinen Cent mehr.«
    Nora schleuderte ihr Buch von sich und fiel ihrem Mann um den Hals. Sie umarmten sich, gaben sich einen Kuss, und dann griff sie nach den Prospekten.
3
    U ngeachtet der Tatsache, dass es sich um Luthers Plan handelte, war es Nora, die als Erste auf die Probe gestellt wurde. Am Dienstagmorgen erhielt sie einen Anruf von einem griesgrämigen Mann, den sie nicht besonders gut leiden konnte.
    Sein Name war Aubie, und ihm gehörte der Kürbiskern , ein pompöser kleiner Schreibwarenladen mit absurden Preisen.
    Nach der Begrüßung kam Aubie direkt zur Sache. »Ich habe mir nur ein wenig Sorgen wegen Ihrer Weihnachtskarten gemacht, Mrs. Krank«, sagte er und gab sich Mühe, zutiefst betroffen zu klingen.
    »Und warum?«, fragte Nora. Sie schätzte es überhaupt nicht, von einem muffigen Krämer verfolgt zu werden, der ansonsten das ganze Jahr über kaum ein Wort mit ihr wechselte.
    »Nun ja, Sie suchen sich immer die schönsten Karten aus, Mrs. Krank, und wir sollten langsam daran denken, sie zu ordern.« Schmeicheleien waren nicht gerade seine Stärke. Diesen Spruch bekamen alle Kunden zu hören.
    Laut Luthers Endabrechnung hatte der Kürbiskern im Jahr zuvor 318 Dollar für Weihnachtskarten von den Kranks eingestrichen, was Nora wirklich ein wenig übertrieben erschien. Es war zwar keine riesige Summe, aber was hatten sie eigentlich davon gehabt? Luther lehnte es rundweg ab, ihr beim Adressieren und Frankieren zu helfen, und geriet jedes Mal in Rage, wenn sie ihn fragte, ob sie Mr. oder Mrs. Soundso auch eine Karte schicken sollte oder nicht. Außerdem weigerte er sich, auch nur einen flüchtigen Blick auf die Karten zu werfen, die sie selbst erhielten, und Nora musste sich eingestehen, dass es kaum noch Freude machte, überhaupt welche zu bekommen.
    Also blieb sie hart und sagte: »Wir bestellen in diesem Jahr keine Karten.« Sie konnte beinahe hören, wie Luther ihr applaudierte.
    » Was? «
    »Sie haben mich sehr wohl verstanden.«
    »Darf ich fragen, warum?«
    »Nein, das dürfen Sie nicht.«
    Darauf wusste Aubie keine Antwort. Er stammelte noch etwas und legte dann auf. Einen Augenblick lang war Nora von Stolz erfüllt. Doch als sie an all die Fragen dachte, die sie damit heraufbeschwören würde, wurde sie unsicher. Ihre Schwester, die Frau des Pfarrers, ihre Freunde im Alphabetisierungsausschuss, ihre Tante, die in einem Rentnerstädtchen lebte — sie alle würden sich irgendwann erkundigen, was mit ihren Weihnachtskarten geschehen war.
    Hat die Post sie verschlampt? Oder hattet ihr keine Zeit zu schreiben?
    Nein. Sie würde ihnen die Wahrheit sagen. Weihnachten findet diesmal ohne uns statt. Blair ist nicht da, also machen wir eine Kreuzfahrt. Und wenn ihr die Karte so sehr vermisst habt, schicke ich euch nächstes Jahr eben zwei.
    Nachdem Nora mit Hilfe einer frischen Tasse Kaffee ihre Kräfte gesammelt hatte, fragte sie sich, wie viele der Personen auf ihrer Adressliste es überhaupt bemerken würden, wenn sie leer ausgingen. Sie selbst erhielt jedes Jahr ein paar Dutzend Karten, allerdings mit abnehmender Tendenz, und führte keineswegs Buch darüber, wer sich die Mühe gemacht hatte und wer nicht. Hatte in all der Weihnachtshektik denn tatsächlich irgendjemand Zeit, sich Gedanken um gewisse ausbleibende Karten zu machen?
    Womit sie bei einem von Luthers beliebtesten Meckerthemen angelangt war — dem Notvorrat. Nora kaufte immer einige Karten mehr als nötig, damit sie sofort reagieren konnte, wenn unerwartete Weihnachtsgrüße eintrafen. Jahr für Jahr trafen zwei bis drei Karten von vollkommen fremden Personen ein, und auch einige von Bekannten, die vorher noch nie geschrieben hatten. Dann schickte Nora innerhalb von vierundzwanzig Stunden ihre Notfallkarten los, immer mit einem handschriftlichen
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