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Das Fest

Titel: Das Fest
Autoren: John Grisham
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waren gerade dabei, ihren Baum herauszuputzen, und Luther glaubte beinahe, ihr Gezänk hören zu können. Ned Becker balancierte auf der obersten Sprosse einer kleinen Leiter und brachte eine Lichterkette an, während Jude Becker ihm von unten Anweisungen zublaffte. Judes Mutter, ein Wunder an Alterslosigkeit und noch furchterregender als Jude selbst, war ebenfalls mit von der Partie. Auch sie erteilte dem armen Ned Befehle, und ihre Anordnungen standen offenbar in scharfem Widerspruch zu denjenigen ihrer Tochter. Häng sie hierhin, häng sie dorthin! An diesen Zweig, nicht an jenen! Siehst du nicht, dass da eine Lücke klafft? Wo hast du nur deine Augen? Währenddessen lümmelte sich Rocky Becker, ihr zwanzigjähriger Schulversager, mit einer Dose irgendwas auf dem Sofa, lachte und erteilte Ratschläge, die offenbar vollkommen ignoriert wurden. Er war allerdings der Einzige, der fröhlich dreinschaute.
    Angesichts dieser Szene musste Luther lächeln. Sie bestätigte ihn in seiner Überzeugung und machte ihn stolz — stolz auf seinen Entschluss, sich dieses ganze Trauerspiel einfach zu schenken.
    Er schlurfte weiter, füllte seine hochmütigen Lungen mit kalter Luft und war glücklich, dass er zum ersten Mal in seinem Leben das grauenhafte Ritual des Baumschmückens vergessen konnte. Zwei Häuser weiter hielt er erneut inne und beobachtete den Frohmeyer-Klan beim Sturmangriff auf eine zwei Meter fünfzig hohe Fichte. Mr. Frohmeyer hatte zwei Kinder mit in die Ehe gebracht, Mrs. Frohmeyer drei, dann hatten sie noch ein gemeinsames fabriziert, und von diesen sechsen war das älteste gerade mal zwölf Jahre alt. Soeben bewarf die ganze Brut den Baum mit Dekorationen und Lametta. Jedes Jahr im Dezember kam irgendwann der Tag, an dem Luther zufällig eine der Nachbarsfrauen sagen hörte, wie absolut schrecklich der Baum der Frohmeyers wieder einmal aussah. Als ob ihn das interessieren würde!
    Schrecklich oder nicht, sie hatten auf jeden Fall eine Menge Spaß dabei, die Fichte mit geschmacklosem Nippes zu behängen. Mr. Frohmeyer betrieb Forschungen an der Universität und verfügte angeblich über ein Jahresgehalt von 110.000 Dollar, was jedoch bei sechs Kindern nicht besonders viel war. Nach Neujahr landete ihr Baum immer als letzter auf der Straße.
    Luther kehrte um und machte sich auf den Heimweg. Im Wohnzimmer der Beckers saß Ned jetzt auf dem Sofa und presste einen Eisbeutel auf seine Schulter, während Jude ihm mit erhobenem Finger einen Vortrag hielt. Die Leiter lag auf der Seite und wurde gerade von der Schwiegermutter inspiziert. Was auch immer der Grund für den Sturz gewesen war — die Schuld würde ganz allein der arme Ned tragen.
    Na großartig, dachte Luther. Jetzt werde ich mir für die nächsten vier Monate seine Leidensgeschichte anhören müssen. Wenn er sich recht erinnerte — Ned Becker war schon einmal von der Leiter gefallen, vor fünf oder sechs Jahren. War im Baum gelandet: War mit dem ganzen Ding zu Boden gegangen und hatte dabei Judes Lieblingsschmuck zerbrochen. Sie hatte ein Jahr lang geschmollt.
    Was für ein Wahnsinn, dachte Luther.
4
    N ora und zwei ihrer Freundinnen hatten gerade einen Tisch in ihrem Lieblingscafe erobert, einer umgebauten Tankstelle, an der zwar immer noch Benzin verkauft wurde, die ihr Sortiment jedoch um Designersandwiches und Milchkaffee zu drei Dollar die Tasse aufgestockt hatte. Wie jeden Mittag war das Cafe gerammelt voll, und die lange Schlange vor der Tür zog sogar noch mehr Kundschaft an.
    Die drei Frauen hatten sich zu einem Arbeitsessen verabredet. Candi und Merry waren die anderen beiden Mitglieder des Komitees, das eine Benefizauktion zum Wohle des Kunstmuseums organisierte. An den meisten anderen Tischen wurden mit großem Eifer ähnliche wohltätige Aktionen geplant.
    Noras Handy klingelte. Sie entschuldigte sich, weil sie vergessen hatte, es abzuschalten, aber Merry bestand darauf, dass sie den Anruf trotzdem annahm. Ringsumher hatte ohnehin jeder zweite ein Mobiltelefon am Ohr.
    Es war Aubie. Im ersten Moment fragte sich Nora verwundert, woher er ihre Nummer hatte. Aber dann fiel ihr ein, dass sie normalerweise recht freigebig damit umging.
    »Es ist Aubie vom Kürbiskern «, bezog sie Candi und Merry in das Gespräch mit ein. Die beiden nickten desinteressiert. Vermutlich kannte jeder Kürbiskern- Aubie. Er verlangte die höchsten Preise des Planeten, und mit Schreibwaren von Aubie konnte man all seine Bekannten übertrumpfen.
    »Wir haben neulich
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