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Das Fest

Titel: Das Fest
Autoren: John Grisham
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Beweisstücken: Auf seinem Schreibtisch stapelten sich Aktenordner, der Computer surrte, der Drucker spuckte Tabellenkalkulationen aus. Luther war von Haus aus Steuerberater und führte seine Unterlagen peinlich genau. Und jetzt, da die Menge von Beweismaterial immer weiter anschwoll, vergaß er seinen Schlaf.
    Vor einem Jahr hatten sie 6.100 Dollar für Weihnachten ausgegeben — 6.100 Dollar! 6.100 Dollar für Dekorationen, Lichterketten, Blumen, einen neuen Frosty für das Dach und eine kanadische Fichte. 6.100 Dollar für Festschinken, Truthähne, Pecannüsse, Käsebällchen und Plätzchen, die niemand aß. 6.100 Dollar für Wein, Hochprozentiges und Zigarren als Geschenke für die Kollegen. 6.100 Dollar für die Stollen und Kalender, die jedes Jahr von der Feuerwehr, dem Rettungsdienst und dem Polizeiverband für einen guten Zweck verkauft wurden. 6.100 Dollar für Geschenke an Luther: einen Kaschmirpullover, den er insgeheim nicht ausstehen konnte, ein Sakko, das er zweimal getragen hatte, und eine Brieftasche aus Straußenleder, die ziemlich teuer gewesen war, potthässlich aussah und sich offen gestanden nicht besonders gut anfühlte. 6.100 Dollar für das Kleid, das Nora zur offiziellen Weihnachtsfeier von Luthers Firma angezogen hatte, für ihren eigenen Kaschmirpullover, der nach Weihnachten nie wieder gesehen ward, und für einen Designerschal, den sie heiß und innig liebte. 6.100 Dollar für die Geschenke an Blair: einen Mantel, ein Paar Stiefel und Handschuhe, einen Walkman, damit sie zu Musik joggen konnte, und natürlich das neueste, kleinste Handy am Markt. 6.100 Dollar, mit denen eine auserwählte Hand voll entfernter Verwandter beschenkt wurde — hauptsächlich Verwandte von Noras Seite. 6.100 Dollar für Weihnachtskarten aus einer Schreibwarenhandlung in der Nähe von Chip's, in jenem Viertel mit den Wucherpreisen. 6.100 Dollar für die Party, die jedes Jahr zu Heiligabend im Hause der Kranks stattfand.
    Und was hatten sie davon gehabt? Vielleicht ein oder zwei brauchbare Dinge, aber ansonsten nicht viel — und das für 6.100 Dollar.
    Genüsslich berechnete Luther den Verlust, als habe nicht er, sondern jemand anderes ihn erlitten. Alle Beweisstücke passten hervorragend ins Bild und lieferten ihm hieb- und stichfeste Argumente.
    Als er am Ende seiner Kalkulation zu den Ausgaben für wohltätige Zwecke kam, wand er sich ein bisschen. Spenden für die Kirche, den Spielzeugfonds, für das Obdachlosenheim und die Lebensmittelhilfe. Doch nachdem er sich hastig durch die Wohltätigkeit gearbeitet hatte, kehrte er zu der furchtbaren, unumstößlichen Feststellung zurück: 6.100 Dollar für Weihnachten.
    »Neun Prozent meines Bruttojahresgehalts«, stellte er ungläubig fest. »Sechstausendeinhundert Dollar! Und nur sechshundert davon habe ich von der Steuer absetzen können.«
    In seinem Elend tat Luther etwas, was ansonsten äußerst selten vorkam. Er griff nach der Kognakflasche in seiner Schreibtischschublade und kippte sich ein paar Drinks hinter die Binde.
    Er schlief von drei bis sechs Uhr morgens und tankte dann unter der morgendlichen Dusche neue Energie. Nora versuchte, ihm zum Frühstück Kaffee und Haferflocken aufzudrängen, aber er wollte nichts davon hören. Er las die Zeitung, lachte über die Comics, versicherte ihr zweimal, dass Blair sich bestimmt prima amüsierte, gab ihr dann einen Kuss und brauste zur Arbeit. Er war ein Mann mit einer Mission.
    Das Reisebüro befand sich im Atrium des Gebäudes, in dem Luthers Firma ihren Sitz hatte. Er ging mindestens zweimal am Tag daran vorbei, warf jedoch nur selten einen Blick in das Schaufenster mit den Plakaten von Sandstränden, Bergpanoramen, Segeljachten und Pyramiden. Ein Reisebüro war etwas für jene, die das Glück hatten, reisen zu können. Luther hatte es noch nie betreten, noch nie auch nur daran gedacht. Urlaub — das bedeutete für ihn und Nora fünf Tage am Strand, in der Eigentumswohnung eines Freundes, und bei seiner Arbeitsüberlastung konnten sie froh sein, wenn es überhaupt klappte.
    Um kurz nach zehn stahl er sich aus dem Büro. Er benutzte die Treppe, damit er niemandem etwas erklären musste, und huschte durch die Tür von Regency Travel. Dort empfing ihn Biff.
    Biff trug eine große Blüte im Haar, war tief gebräunt und sah aus, als würde sie gerade zufällig mal für ein paar Stunden im Büro vorbeischauen, bevor es zum nächsten Strand ging. Ihr nettes Lächeln traf Luther unvorbereitet, und ihre ersten Worte
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