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Das fehlende Glied in der Kette

Das fehlende Glied in der Kette

Titel: Das fehlende Glied in der Kette
Autoren: Agatha Christie
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denn an dem Abend war auch Dr. Bauerstein da gewesen. Damit erschien die Sache in einem völlig neuen Licht, denn jetzt fehlte eine Tasse. Die Dienstboten hatten nichts gemerkt, denn Annie servierte sieben Tassen, weil sie nicht wusste, dass Mr. Inglethorp niemals Kaffee trank, wohingegen Dorcas, die sie am folgenden Morgen abräumte, wie gewöhnlich sechs vorfand – genau genommen fand sie fünf, denn die sechste war ja die zerbrochene in Mrs. Inglethorps Zimmer.
    Ich war mir sicher, dass die fehlende Tasse die von Mademoiselle Cynthia war, auch deshalb, weil in allen Tassen Zucker gewesen war, Mademoiselle Cynthia aber nie Zucker in ihrem Kaffee nahm. Meine Aufmerksamkeit wurde durch eine Bemerkung Annies geweckt, sie hätte ‹Salz› auf dem Tablett mit dem Kakao gesehen, das sie jeden Abend in Mrs. Inglethorps Zimmer stellte. Also besorgte ich mir eine Probe von diesem Kakao und ließ ihn ebenfalls analysieren.»
    «Aber das hatte Dr. Bauerstein doch schon getan», warf Lawrence rasch ein.
    «Eben nicht. Er hatte nur einen Bericht darüber verlangt, ob darin Strychnin enthalten war oder nicht. Er hatte es nicht wie ich auf ein Betäubungsmittel untersuchen lassen.»
    «Betäubungsmittel?»
    «Ja. Hier ist der Bericht des Labors. Mrs. Cavendish gab eine ungefährliche, aber wirksame Dosis eines Betäubungsmittels sowohl in Mrs. Inglethorps als auch in Mademoiselle Cynthias Tasse. Und es ist sehr gut möglich, dass sie deshalb un mauvais quart d ’ heure durchmachen musste! Stellen Sie sich ihre Gefühle vor, als ihre Schwiegermutter plötzlich erkrankt und stirbt, und direkt anschließend hört sie das Wort ‹Gift›! Sie dachte, ihr Schlafmittel sei völlig harmlos, aber eine schreckliche Sekunde lang muss sie geglaubt haben, dass Mrs. Inglethorps Tod ihre Schuld war. Sie gerät in Panik und eilt deshalb nach unten und versteckt die Kaffeetasse und Untertasse von Mademoiselle Cynthia in einer großen Messingvase, wo sie später von Monsieur Lawrence entdeckt wurden. Die Reste des Kakaos wagt sie nicht anzurühren. Zu viele Augen könnten etwas sehen. Stellen Sie sich ihre Erleichterung vor, als Strychnin erwähnt wird und sie dann entdeckt, dass sie die Tragödie nicht verschuldet hatte.
    Mittlerweile wissen wir auch, warum die Symptome der Strychninvergiftung so spät auftraten. Wenn Strychnin gleichzeitig mit einem Schlafmittel eingenommen wird, verzögert sich die Wirkung des Gifts um mehrere Stunden.»
    Poirot unterbrach sich. Mary sah ihn an und langsam stieg ihr das Blut ins Gesicht.
    «Alles, was Sie sagten, stimmt, Monsieur Poirot. Es war die schrecklichste Stunde meines Lebens. Ich werde sie niemals vergessen. Aber Sie sind wunderbar. Jetzt verstehe ich…»
    «Was ich meinte, als ich Ihnen sagte, Sie könnten Papa Poirot ruhig alles gestehen, eh? Aber Sie vertrauten mir nicht.»
    «Ich verstehe jetzt alles», sagte Lawrence. «Der Kakao mit dem Schlafmittel nach dem vergifteten Kaffee ist die Ursache für die Verzögerung.»
    «Genau. Aber war der Kaffee vergiftet oder nicht? Hier stoßen wir auf eine kleine Schwierigkeit, da Mrs. Inglethorp ihn nie getrunken hat.»
    «Was?» Ein einstimmiger überraschter Ausruf.
    «Nein. Erinnern Sie sich an meine Worte von einem Fleck auf dem Teppich in Mrs. Inglethorps Zimmer? Mit diesem Fleck hat es eine seltsame Bewandtnis. Er war noch feucht, er roch stark nach Kaffee, und tief im Teppich fand ich einige winzige Porzellansplitter. Mir war sofort klar, was geschehen war, denn nur zwei Minuten zuvor hatte ich meinen kleinen Koffer auf den Tisch beim Fenster gestellt, und der Tisch war umgekippt, und mein Koffer war genau auf die gleiche Stelle des Teppichs gefallen. Auch Mrs. Inglethorp hatte ihre Tasse dort abgestellt, nachdem sie in ihr Zimmer gekommen war, und der wacklige Tisch hatte ihr den gleichen Streich gespielt.
    Was dann geschah, ist allein meine Vermutung, aber ich denke, dass Mrs. Inglethorp die Scherben auflas und auf den Tisch neben ihrem Bett legte. Da sie aber das Bedürfnis nach einem stimulierenden Getränk verspürte, machte sie ihren Kakao warm und trank ihn dann dort aus. Jetzt stehen wir vor einem neuen Problem: Wir wissen, dass der Kakao kein Strychnin enthielt. Der Kaffee wurde nicht getrunken. Dennoch muss das Strychnin irgendwann zwischen sieben und neun Uhr verabreicht worden sein. Was gab es also für ein drittes Mittel – ein Mittel, das den Geschmack von Strychnin so gut überdeckt, weswegen man kaum glauben kann, dass das
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