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Das fehlende Glied in der Kette

Das fehlende Glied in der Kette

Titel: Das fehlende Glied in der Kette
Autoren: Agatha Christie
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viel gelegen wäre. Der Kerl ist ein totaler Außenseiter, das sieht man auf Anhieb. Er hat einen schwarzen Vollbart und trägt bei jedem Wetter Lackschuhe! Aber unsere Mutter war sofort von ihm begeistert und stellte ihn als ihren Sekretär ein – wie du weißt, ist sie ja immer die Vorsitzende von hundert Vereinen.»
    Ich nickte.
    «Tja, seit dem Krieg sind es nicht mehr hunderte, sondern tausende. Zweifellos war der Kerl ihr ganz nützlich. Aber uns traf beinahe der Schlag, als sie uns vor drei Monaten plötzlich mitteilte, dass sie und Alfred verlobt wären! Der Kerl ist mindestens zwanzig Jahre jünger als sie! Er hatte es zweifellos auf ihr Geld abgesehen – aber was soll man machen – sie tut, was sie will, und also hat sie ihn geheiratet.»
    «Das muss für euch ja eine schwierige Situation sein.»
    «Schwierig! Sie ist verteufelt unangenehm!»
    So geschah es dann, dass ich drei Tage später in Styles St. Mary aus dem Zug stieg, an einem winzigen Bahnhof, der ohne sichtbare Daseinsberechtigung inmitten von grünen Feldern und Landstraßen lag. John Cavendish wartete auf dem Bahnsteig und geleitete mich zu seinem Auto.
    «Wie du siehst, habe ich immer noch ein bisschen Benzin», bemerkte er. «Das verdanke ich hauptsächlich den Aktivitäten unserer Mutter.»
    Das Dorf Styles St. Mary war etwa zwei Meilen weit entfernt und Styles Court lag eine Meile dahinter. Es war ein ruhiger warmer Tag Anfang Juli. Beim Anblick dieser grünen, friedlich im nachmittäglichen Sonnenschein liegenden Ebene von Essex konnte man sich kaum vorstellen, dass gar nicht so weit entfernt ein Weltkrieg wütete. Mir war, als hätte ich mich plötzlich in eine andere Welt verirrt.
    «Ich fürchte, Hastings, du wirst es hier sehr ruhig finden.»
    «Aber lieber Freund, das ist genau das, was ich mir gewünscht habe.»
    «Na ja, es ist ganz schön, wenn man ein Faulenzerleben führen will. Ich exerziere zweimal wöchentlich mit der freiwilligen Bürgerwehr und helfe den Bauern. Meine Frau arbeitet regelmäßig bei der Landhilfe mit. Sie steht jeden Morgen um fünf Uhr auf und melkt die Kühe und dann macht sie weiter bis mittags. Alles in allem ist es eigentlich ein ganz angenehmes Leben – wenn da bloß nicht dieser Alfred Inglethorp wäre!» Plötzlich verlangsamte er die Geschwindigkeit und sah auf seine Uhr. «Vielleicht haben wir ja noch genug Zeit, um Cynthia abzuholen. Nein, sie wird das Krankenhaus jetzt wohl schon verlassen haben.»
    «Cynthia? Das ist doch nicht deine Frau?»
    «Nein, Cynthia ist ein Schützling meiner Mutter, die Tochter einer alten Schulfreundin, die einen üblen Advokaten heiratete. Er machte Pleite und bald darauf war das Mädchen verwaist und völlig mittellos. Meine Mutter nahm sie auf und jetzt lebt Cynthia schon fast zwei Jahre bei uns. Sie arbeitet übrigens im Roten-Kreuz-Krankenhaus in Tadminster, etwa sieben Meilen von hier.»
    Während seiner letzten Worte fuhren wir vor dem schönen alten Haus vor. Eine Frau in dickem Tweedrock beugte sich gerade über ein Blumenbeet und richtete sich auf, als wir näher kamen.
    «Hallo, Evie, hier ist unser verwundeter Held! Mr. Hastings – Miss Howard.»
    Miss Howard schüttelte mir die Hand mit festem, fast schmerzhaftem Griff. Ich blickte in sehr blaue Augen in einem sonnengebräunten Gesicht. Sie war eine sympathische Frau um die vierzig, von herbem Äußeren, mit einer tiefen, beinahe männlichen Stimme, groß und breitschultrig, mit den dazu passenden Füßen – Letztere steckten in guten derben Stiefeln. Ihre bevorzugte Sprechweise, das merkte ich bald, waren Mitteilungen im Telegrammstil.
    «Unkraut wächst wie verrückt. Kann damit nicht Schritt halten. Werde Sie zwangsverpflichten müssen. Nehmen Sie sich nur in Acht!»
    «Aber ich würde mich mit dem größten Vergnügen nützlich machen», erwiderte ich.
    «Sagen Sie das nicht. Sollte man nie. Werden Sie noch bereuen.»
    «Du machst dich über uns lustig, Evie.» John lachte. «Wo trinken wir heute Tee – drinnen oder draußen?»
    «Draußen. Viel zu schönes Wetter, um sich im Hause zu verkriechen.»
    «Dann komm jetzt, du hast für heute genug im Garten gearbeitet. Du hast dir eine Pause verdient. Komm und ruh dich aus.»
    «Hm.» Miss Howard zog die Gartenhandschuhe aus. «Ich stimme dir da zu.»
    Sie ging voran ums Haus herum zu dem Tisch, der im Schatten eines großen Ahorns gedeckt war.
    Aus einem der Korbsessel erhob sich eine Gestalt und kam uns zur Begrüßung ein paar Schritte
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