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Das fehlende Glied in der Kette

Das fehlende Glied in der Kette

Titel: Das fehlende Glied in der Kette
Autoren: Agatha Christie
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hatte, veränderte sich Miss Howards Gesichtsausdruck. Sie neigte sich eifrig zu mir herüber.
    «Mr. Hastings, Sie sind ein anständiger Mensch. Kann ich mich auf Sie verlassen?»
    Ich war etwas überrascht. Sie legte ihre Hand auf meinen Arm und flüsterte: «Kümmern Sie sich um sie, Mr. Hastings. Meine arme Emily. Sie sind Gauner – allesamt. Oh, ich weiß, wovon ich rede. Alle haben sie Geldprobleme und alle wollen sie von ihr Geld. Ich habe sie so gut vor ihnen beschützt, wie ich konnte. Wenn ich nun nicht mehr da bin, werden sie ihre Gutmütigkeit ausnutzen.»
    «Selbstverständlich werde ich alles tun, was ich kann, aber ich bin sicher, dass Sie in Ihrer Aufregung Gespenster sehen.»
    Sie unterbrach mich, indem sie mir langsam mit dem Zeigefinger drohte.
    «Junger Mann, glauben Sie mir. Ich bin schon länger auf der Welt als Sie. Ich bitte Sie doch nur, Ihre Augen offen zu halten. Sie werden schon sehen, was ich damit meine.»
    Durch das offene Fenster drang Motorengeräusch und Miss Howard erhob sich und ging zur Tür. Draußen hörte man Johns Stimme. Mit der Hand auf dem Türknauf sah sie über die Schulter zurück und winkte mich zu sich heran.
    «Vor allem, Mr. Hastings, passen Sie auf diesen Teufel auf – ihren Mann!»
    Es blieb keine Zeit für weitere Erklärungen. Miss Howard wurde von lebhaftem Protest- und Abschiedsgeschrei verschlungen. Die Inglethorps ließen sich nicht sehen.
    Als das Auto losfuhr, löste sich Mrs. Cavendish plötzlich von der Gruppe, überquerte die Auffahrt und ging einem hoch gewachsenen, bärtigen Mann entgegen, der offensichtlich auf dem Weg zum Haus war. Während sie ihm die Hand entgegenstreckte, stieg ihr das Blut in die Wangen.
    «Wer ist das?», fragte ich ungehalten, denn instinktiv lehnte ich diesen Mann ab.
    «Das ist Dr. Bauerstein», antwortete John knapp.
    «Und wer ist Dr. Bauerstein?»
    «Er wohnt zurzeit im Dorf und erholt sich von einem schweren Nervenzusammenbruch. Er ist ein Londoner Wissenschaftler. Ein sehr kluger Mann – einer der bedeutendsten Experten unserer Zeit für Gifte, glaube ich.»
    «Und er ist ein enger Freund von Mary», warf Cynthia ein, die sich immer einmischen musste.
    John Cavendish runzelte die Stirn und wechselte das Thema.
    «Komm, Hastings, lass uns ein Stück spazieren gehen. Das war ja eine höchst peinliche Angelegenheit. Sie hatte schon immer eine scharfe Zunge, aber es gibt in ganz England keine zuverlässigere Freundin als Evelyn Howard.»
    Wir liefen auf dem Feldweg zum Dorf und weiter bis zum Wald, der an das Gut grenzte.
    Als wir auf unserem Rückweg wieder durch das Parktor kamen, begegnete uns eine hübsche, junge, etwas zigeunerhafte Frau, die uns lächelnd grüßte.
    «Das ist aber ein hübsches Mädchen», bemerkte ich anerkennend.
    Johns Gesicht verfinsterte sich.
    «Das ist Mrs. Raikes.»
    «Die, von der Miss Howard –»
    «Genau», erwiderte John unnötig schroff.
    Ich dachte an die weißhaarige alte Dame im Herrenhaus und an das strahlende, schalkhafte kleine Gesicht, das uns eben zugelächelt hatte, und eine unbestimmte böse Vorahnung beschlich mich. Ich ignorierte sie jedoch.
    «Styles ist wirklich ein wundervolles altes Haus», sagte ich zu John.
    Er nickte, doch er wirkte ziemlich bedrückt.
    «Ja, es ist ein schöner Besitz. Eines Tages werde ich ihn erben – eigentlich müsste er mir schon längst gehören, wenn mein Vater damals ein gerechtes Testament gemacht hätte. Dann wäre ich nicht so knapp bei Kasse, wie ich es jetzt bin.»
    «Was, du bist knapp bei Kasse?»
    «Mein lieber Hastings, ich sage dir in aller Offenheit, dass ich vor lauter Geldsorgen nicht mehr weiter weiß.»
    «Könnte dir denn dein Bruder nicht helfen?»
    «Lawrence? Der hat jeden Penny, den er jemals hatte, für die Veröffentlichung seiner Gedichte in Luxusbänden ausgegeben. Nein, wir sind arm wie die Kirchenmäuse. Meine Mutter hat sich uns gegenüber immer äußerst großzügig verhalten – das heißt, bis jetzt. Seit ihrer Heirat natürlich…» Er brach ab und sah sorgenvoll drein.
    Ich spürte, dass zusammen mit Evie etwas Undefinierbares aus der Atmosphäre verschwunden war. Ihre Anwesenheit hatte Sicherheit bedeutet. Jetzt war diese Sicherheit verschwunden und nun war die Luft voller Verdächtigungen. Das finstere Gesicht von Doktor Bauerstein stieg unangenehm vor meinem inneren Auge auf. Ein unbestimmter Verdacht gegen alles und jedes erfüllte mich. Einen Augenblick lang bedrückte mich die Vorahnung eines näher
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