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Das fehlende Glied in der Kette

Das fehlende Glied in der Kette

Titel: Das fehlende Glied in der Kette
Autoren: Agatha Christie
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etwas sucht und es noch nicht gefunden hat. Plötzlich wacht Mrs. Inglethorp auf und windet sich in fürchterlichen Krämpfen. Sie wirft die Arme zur Seite, stößt dabei den Tisch um und zieht verzweifelt an der Klingel. Mrs. Cavendish erschrickt, lässt die Kerze fallen, und so gerät Wachs auf den Teppich. Sie hebt die Kerze wieder auf und verschwindet rasch in Mademoiselle Cynthias Zimmer und schließt die Tür hinter sich. Sie eilt hinaus auf den Flur, denn die Dienstboten sollen sie hier nicht finden. Aber zu spät! Schon sind Schritte auf der Galerie zu hören, die die beiden Flügel des Hauses verbindet. Was soll sie tun? Blitzschnell eilt sie zurück in das Zimmer des jungen Mädchens und rüttelt sie wach. Die aufgeschreckten Dienstboten und Familienmitglieder kommen den Flur entlanggelaufen. Sie klopfen an Mrs. Inglethorps Tür. Niemandem fällt auf, dass Mrs. Cavendish nicht zusammen mit den anderen hergekommen ist, aber – und das ist wichtig – ich kann niemanden finden, der sie aus dem anderen Teil des Hauses kommen sah.» Er sah Mrs. Cavendish an. «Habe ich Recht, Madame?»
    Sie neigte den Kopf.
    «Sie haben ganz Recht, Monsieur. Sie glauben mir sicherlich, dass ich diese Tatsachen längst enthüllt hätte, wenn ich meinem Mann damit hätte helfen können. Aber es schien sich dadurch an der Frage seiner Schuld oder Unschuld nichts zu ändern.»
    «Das ist in gewisser Hinsicht korrekt, Madame. Aber erst nachdem mir das klar war, konnte ich mich von vielen falschen Theorien lösen und bekam den Kopf frei, um andere Tatsachen in ihrer wahren Bedeutung zu erkennen.»
    «Das Testament!», rief Lawrence aus. «Dann hast du also das Testament vernichtet, Mary?»
    Sie schüttelte den Kopf, genau wie Poirot.
    «Nein», sagte sie leise. «Es gibt nur eine Person, die das Testament vernichtet haben kann – das ist Mrs. Inglethorp selbst!»
    «Unmöglich!», entfuhr es mir. «Sie hatte es doch erst an diesem Nachmittag gemacht!»
    «Trotzdem war es Mrs. Inglethorp, mon ami. Weil es keine andere Erklärung für die Tatsache gibt, dass Mrs. Inglethorp an einem der heißesten Tage des Jahres die Anweisung gab, ein Kaminfeuer in ihrem Schlafzimmer anzuzünden.»
    Ich schnappte nach Luft! Wie dumm von uns, dass wir uns über dieses höchst unpassende Feuer nie Gedanken gemacht hatten! Poirot fuhr fort.
    «Die Temperatur an diesem Tag betrug annähernd 30 Grad im Schatten, verehrte Zuhörer. Dennoch gab Mrs. Inglethorp Anweisung, ein Kaminfeuer anzuzünden! Warum? Weil sie etwas verbrennen wollte und ihr keine andere Möglichkeit einfiel. Sie werden sich daran erinnern, dass auf Styles infolge der kriegsbedingten Sparmaßnahmen kein Papier weggeworfen wurde. Deshalb konnte sie ein so dickes Dokument wie ein Testament nicht einfach vernichten. Als ich von dem Kaminfeuer in Mrs. Inglethorps Zimmer hörte, kam mir sofort der Gedanke, dass wichtige Papiere vernichtet werden sollten – möglicherweise ein Testament. Deshalb überraschte mich die Entdeckung von verkohlten Papierfetzen nicht. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich natürlich noch nicht, dass das Testament erst an diesem Nachmittag verfasst worden war, und ich muss zugeben, dass ich dann, als ich davon erfuhr, einen schwerwiegenden Fehler beging. Ich hielt Mrs. Inglethorps Entschluss, das Testament zu vernichten, für eine Konsequenz des Streits vom Nachmittag. Deshalb folgerte ich, dass der Streit nach und nicht vor dem Abfassen des Testaments stattgefunden haben musste.
    Darin irrte ich mich, wie wir jetzt wissen, und ich musste diese Theorie fallen lassen. Ich betrachtete das Problem von einem neuen Standpunkt aus. Um vier Uhr hörte Dorcas, wie Mrs. Inglethorp wütend sagte: ‹Du brauchst nicht zu denken, dass Angst vor Gerede oder vor einem Skandal zwischen Eheleuten mich davon abhalten könnte.› Ich vermutete, und ich vermutete richtig, dass diese Worte nicht gegen ihren Mann, sondern gegen Mr. John Cavendish gerichtet waren. Um fünf Uhr, eine Stunde später, gebraucht sie noch einmal die gleichen Worte, aber aus einer anderen Sicht. Sie gesteht Dorcas gegenüber: ‹Ich weiß nicht, was ich tun soll, ein Skandal zwischen Eheleuten ist eine schreckliche Sache.› Um vier Uhr war sie wütend, aber völlig Herrin ihrer selbst. Um fünf ist sie ganz außer sich und redet davon, dass sie ‹einen großen Schock› erlitten habe.
    Ich betrachtete die Angelegenheit nun aus psychologischer Sicht. Ich zog eine Schlussfolgerung, die meiner Überzeugung nach
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