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Das fehlende Glied in der Kette

Das fehlende Glied in der Kette

Titel: Das fehlende Glied in der Kette
Autoren: Agatha Christie
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richtig war: Der zweite Skandal, von dem sie sprach, war nicht derselbe wie der erste – der betraf sie nämlich selbst!
    Lassen Sie uns die Ereignisse rekonstruieren: Um vier Uhr hat Mrs. Inglethorp mit ihrem Sohn eine heftige Auseinandersetzung und droht ihm, seiner Frau etwas zu verraten – die dieses Gespräch übrigens zum größten Teil belauscht. Um halb fünf macht Mrs. Inglethorp als Folge einer Unterhaltung über die Gültigkeit von Testamenten ein Testament zu Gunsten ihres Mannes, das sie von zwei Gärtnern beglaubigen lässt. Um fünf Uhr findet Dorcas Mrs. Inglethorp in einem Zustand großer Erregung vor, sie hält einen Zettel in der Hand – Dorcas hält ihn für einen ‹Brief› – und dann gibt sie die Anweisung, in ihrem Zimmer ein Kaminfeuer anzuzünden. Offenbar hat sich zwischen halb fünf und fünf etwas ereignet, das sie zutiefst erschüttert und eine Sinnesänderung herbeigeführt hat, da sie nun bestrebt ist, das Testament zu vernichten, das sie erst eben gerade aufgesetzt hat. Was war das?
    Soweit wir wissen, war sie in dieser halben Stunde allein. Niemand betrat oder verließ das Boudoir. Was veranlasste sie also zu diesem plötzlichen Sinneswandel?
    Hier können wir nur raten, aber ich glaube, dass ich richtig rate. Mrs. Inglethorp hatte keine Briefmarken in ihrem Schreibtisch. Das wissen wir, weil sie später Dorcas bat, ihr welche zu bringen. In der entgegengesetzten Ecke des Raumes stand der Schreibtisch ihres Mannes – und zwar verschlossen. Sie brauchte nun dringend die Briefmarken und meiner Theorie nach versuchte sie mit ihren eigenen Schlüsseln den Schreibtisch zu öffnen. Ich weiß, dass einer ihrer Schlüssel passte. Sie öffnete also den Schreibtisch, suchte nach den Briefmarken und fand etwas anderes – sie fand den Zettel, den Dorcas in ihrer Hand sah und der ganz sicher nicht für Mrs. Inglethorps Augen bestimmt war.
    Mrs. Cavendish glaubte jedoch, dass dieser Papierfetzen, den ihre Schwiegermutter so krampfhaft festhielt, ein schriftlicher Beweis für die Untreue ihres Mannes John war. Sie bat Mrs. Inglethorp darum, die ihr wahrheitsgemäß versicherte, das Papier habe damit nichts zu tun. Mrs. Cavendish glaubte ihr nicht. Sie meinte, Mrs. Inglethorp würde ihren Stiefsohn in Schutz nehmen. Doch Mrs. Cavendish ist eine sehr entschlossene Frau und hinter ihrer Maske ruhiger Gelassenheit war sie fürchterlich eifersüchtig auf ihren Mann. Sie wollte um jeden Preis dieses Papier in die Hand bekommen, und der Zufall half ihr dabei. Sie fand zufällig die Schlüssel von Mrs. Inglethorps Aktenkoffer, die an diesem Morgen verloren gegangen waren. Sie wusste, dass ihre Schwiegermutter alle wichtigen Papiere immer in diesem Koffer aufbewahrte.
    Mrs. Cavendish plante ihr Vorgehen mit aller Energie einer von Eifersucht getriebenen, verzweifelten Frau. Im Verlauf des Abends entriegelte sie die Tür, die in Mademoiselle Cynthias Zimmer führte. Wahrscheinlich ölte sie die Türangeln, denn als ich es versuchte, stellte ich fest, dass sich die Tür ganz leicht öffnen ließ. Sie wartete mit der Durchführung ihres Plans bis in die frühen Morgenstunden, weil es dann sicherer war, da die Dienstboten daran gewöhnt waren, dass sie um diese Zeit aufstand. Sie kleidete sich vollständig an und schlich sich leise durch Mademoiselle Cynthias Zimmer in das von Mrs. Inglethorp.»
    Er machte eine kurze Pause und Cynthia nutzte sie:
    «Aber ich wäre doch bestimmt aufgewacht, wenn jemand durch mein Zimmer gegangen wäre!»
    «Nicht, wenn Sie ein Schlafmittel bekommen hatten.»
    «Ein Schlafmittel?»
    «Mais oui!»
    Er wandte sich wieder an uns alle:
    «Sie erinnern sich, dass Mademoiselle Cynthia trotz des ganzen Tumults und des Lärms nebenan schlief. Dafür kann es nur zwei Gründe geben: Entweder war das vorgetäuscht – was ich nicht glaube – oder ihre Bewusstlosigkeit wurde künstlich herbeigeführt.
    Aus diesem Grund, untersuchte ich alle Kaffeetassen sehr sorgfältig, denn ich erinnerte mich, dass Mrs. Cavendish Mademoiselle Cynthia am Abend vorher den Kaffee gebracht hatte. Ich entnahm jeder Tasse eine Probe und ließ sie analysieren – aber ohne Ergebnis. Ich hatte die Tassen gewissenhaft gezählt, für den Fall, dass eine versteckt worden war. Sechs Personen hatten Kaffee getrunken und sechs Tassen wurden auch gefunden. Ich hatte mich also geirrt.
    Dann fand ich heraus, dass mir ein schwerwiegender Fehler unterlaufen war. Es war Kaffee für sieben Personen serviert worden,
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