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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen
Autoren: William Horwood
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...«, sagte sie.
    Sie hatte ihn darauf vorbereitet, was er tun sollte, falls sie unter freiem Himmel gebar. Er hatte ein Messer, das er bereits über einer Flamme sterilisiert und in einen sauberen Plastikbeutel gewickelt hatte.
    Doch als er es nun herauszog, sagte er, immer praktisch denkend: »Das glaube ich weniger.«
    Er nahm Streichhölzer und eine Kerze zur Hand und sterilisierte das Messer ein zweites Mal ...
    »Jack ...!«
    Sie presste noch einmal, und die Plazenta kam heraus, lag groß und schwarz in der Dunkelheit.
    Eine schläfrige Ruhe kam über sie, als das Baby an Katherines Brust schnupperte.
    Jack band die Nabelschnur an zwei Stellen mit Bindfaden ab, wartete ein wenig und durchtrennte sie dann dazwischen. Kein Zaudern und kein Zagen, so war Jack. Er legte die Plazenta beiseite und vergewisserte sich, dass das Kind und Katherine zugedeckt waren.
    Zufrieden lauschte er den dünnen Schreien des Kindes und sagte leise: »Sie ist geboren, unsere Tochter ist geboren.«
    »Ist sie gesund?«, flüsterte Katherine. Die Urangst jeder Mutter.
    »Ich habe noch gar nicht nachgesehen, ob sie überhaupt eine Sie ist!«, antwortete er leichthin. »Doch wenn sie die ist, für die wir sie halten, dann wird die Erde schon dafür gesorgt haben, dass sie gesund ist. Aber trotzdem ... trotzdem ...«
    Er umarmte sie beide.
    »Trotzdem was?«, flüsterte sie, ließ mit einer Hand das Kind los und streichelte sein Gesicht.
    Er weinte die stillen, schönen Tränen der Erleichterung, die ein Vater vergießt, dem ein wohlbehaltenes Kind geboren ist.
    Er hatte Katherine nach Hause gebracht.
    Sie hatte ihr Kind zur Welt gebracht.
    Sie waren in Sicherheit ... und alles war gut.
    Der Mond stand noch über ihnen, als das weiße Pferd über den Sternenhimmel galoppierte, der ersten Morgendämmerung eines neuen Sommers entgegen.

2
PILGER
    I n derselben Nacht und zur selben Stunde hatte die Geburt der Schildmaid im Schatten des White Horse Hill auch Auswirkungen auf Hyddenwelt.
    Dass dergleichen geschehen konnte, wurde in Geschichten prophezeit, die seit fünfzehnhundert Jahren eine Hyddengeneration an die nächste weitergab. Aber Mythen und Legenden sind eine Sache, die Wirklichkeit ist eine andere und weitaus gefährlicher für die, die in ihr gefangen sind.
    Während Jack und Katherine im Henge von Woolstone ihr Neugeborenes versorgten, geriet, als unmittelbare Folge davon, ihr guter Freund Bedwyn Stort, ein harmloser Gelehrter und Schreiber und bis vor wenigen Tagen noch ihr Reisegefährte, in die reale und ernste Gefahr, sein Leben zu verlieren.
    Er war, aus welchen Gründen auch immer, allein im Dunkeln unterwegs und geriet in eine unangenehme Lage, der zu entrinnen ihm sehr leicht misslingen konnte.
    »Das sieht nicht gut aus«, dachte er bei sich, als er das Ausmaß und die Art seiner Schwierigkeiten erfasste. »Gar nicht gut.«
    Und er hatte recht.
    Stort hatte seine Freunde vor einigen Tagen bei Devil’s Quoits verlassen, einem Steinhenge, das an ebenjener Hyddenstraße lag, auf der sie nach Süden gewandert waren.
    Von allen großen Pilgerwegen in Hyddenwelt ist keiner so alt oder so ehrwürdig wie dieser, denn er verbindet zwei sehr machtvolle und heilige Orte.
    Der erste befindet sich dort, wo das weiße Pferd, das dem Universum dient, Gestalt annimmt, auf jenem Hügel, in dessen Schatten eine Menschenmutter die Schildmaid geboren hatte.
    Der zweite ist der siebzig Meilen weiter im Norden gelegene Waseley Hill, auf dem einst der sagenumwobene, das Feuer des Lebens bergende Stein des Frühlings verlorengegangen und nie wieder gefunden worden war.
    Bedauerlicherweise haben die Straßen der Menschen diesen Hyddenweg verdrängt, ihre Siedlungen und Fabriken ihn verschandelt und verschmutzt. Aus diesem Grund wird er heute nur noch selten von Pilgern benutzt. Ohnehin ist er sehr schwer zu finden, besonders an seinem nördlichen Ende, wo er durch die südlichen Vororte Birminghams, der großen Industriestadt Mittelenglands, führt. In besseren Zeiten, als Menschen und Hydden noch einträchtig zusammenlebten, lag die Stadt im Herzen des damaligen Königreiches Mercia, aber das ist schon fünfzehnhundert Jahre her.
    Die Zeiten änderten sich, und aus dem kleinen Volk, wie die Menschen sie nannten, wurden die Hydden. Sie entschwanden dem Gedächtnis der Menschen und gingen in abergläubische Geschichten über Elfen, Feen und Kobolde ein.
    Solche Ausgeburten der Fantasie hatten mit der Wirklichkeit nie viel gemein. Hydden wurden,
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