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Das erste Schwert

Titel: Das erste Schwert
Autoren: Anna Kashina
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Heilkundiger sein, um zu
     sehen, dass er nur noch kurze Zeit zu leben hatte.
    Er lag auf dem Rücken; eine stählerne Spitze ragte eine Handbreit aus seiner Brust. Blutdurchtränkt klebte ihm das Hemd am
     Oberkörper. Blut überzog auch seinen Arm, befleckte den Mantel und bildete auf dem Gras eine dunkel schillernde Kruste. Er
     atmete in kurzen, flachen Stößen, und jedesmal schien ihm die breiige Masse der Wunde blubbernd zu antworten. Ein intensiver,
     durchdringender Blutgeruch lag in der Luft. Die Lider des Mannes waren geschlossen. Sein Gesicht war so blass und leblos wie
     Talg – und seine Haare   ...
    Skip starrte sie an. Seine Augen hatten ihn nicht getrogen. Was er gesehen hatte, war Wirklichkeit. Die Haare des Fremden
     waren rabenschwarz, und der Sonnenschein verlieh ihnen einen bläulichen Schimmer.
    Er hörte, wie Ellah hinter ihm etwas keuchte und Erle durch die zusammengebissenen Zähne hindurch einatmete.
    |19| Wenn jetzt die Augen des Fremden auch noch blau waren –
    Unmöglich.
    Der Mann bewegte sich und öffnete die Augen. Diesmal schnappte Skip nach Luft.
    Die Augen des Fremdlings glitzerten so blau wie Juwelen.
    Nur die Westland-Adligen des königlichen Dorn-Clans wiesen diese Mischung aus rabenschwarzen Haaren und azurblauen Augen auf.
     Es war unmöglich, so etwas hier in den Or’hallas anzutreffen. Die Adligen wagten sich niemals so weit hinaus in die Wildnis!
     Nicht ohne Diener und Leibwächter jedenfalls.
    Es ergab keinen Sinn.
    Das Atmen des Mannes wurde mühsam und heiser. Sein Gesicht zuckte; der Mund öffnete sich, mühte sich, etwas herauszubringen.
    »Seid ihr aus den Waldlanden?«, keuchte er; seine Stimme war kaum ein Wispern. Skip beugte sich im Stehen vor – kein einziges
     Wort wollte er sich entgehen lassen. Nur nebelhaft war er sich noch der Nähe seiner Geschwister bewusst.
    »Ja«, sagte er, bedrängt vom verzweifelten Blick des Fremden.
    »Komm   ... näher«, rasselte die Stimme des Mannes. Die Anstrengung schmerzte ihn ganz offensichtlich. Jedes Wort wurde von einem
     neuerlichen dunklen Blutschwall begleitet.
    Skip kniete sich neben den Fremdling, es war ihm nicht mehr möglich, den Blick von seinem Gesicht fortzureißen.
    »Näher   ...«, flüsterte der Mann.
    Skip beugte sich über ihn. Über dieses aschfahle Gesicht. Selbst die Lippen waren jetzt grau. So musste man aussehen, wenn
     man keinen Tropfen Blut mehr in den Adern hatte. Dennoch fand der Mann noch immer die Kraft zu sprechen.
    »Ich suche einen ganz bestimmten Priester   ...«, flüsterte |20| er in einem letzten angestrengten Versuch, seine Stimme fest klingen zu lassen. »Bruder Nikolaos in Eichenhain   ...«
    Eichenhain.
Skips Herz übersprang einen Schlag. Ihr Dorf. Ihr Priester, Bruder Nikolaos.
    »Die Bewahrer haben mich gesandt   ...«, fuhr der Mann fort. »Dies hier muss ich ihm aushändigen   ...«
    Seine Faust öffnete sich, und Skip sah ein flaches Päckchen. Zu ihm irrte der Blick des Mannes hin, jedoch nur, um gleich
     darauf flehend zu Skips Gesicht zurückzukehren. Behutsam streckte Skip die Hand aus und nahm das Päckchen an sich.
    Die Mundwinkel des Mannes zuckten in der geisterhaften Andeutung eines Lächelns. Plötzlich schimmerte Erleichterung in seinen
     Augen, als gebe ihm die Tatsache, dass Skip das Päckchen an sich genommen hatte, eine Berechtigung, nunmehr in Frieden zu
     sterben.
    Und doch schien er noch mehr mitteilen zu wollen. »Sag ihm   ... dass sie wegen des Kindes kommen. Der Allehrwürdige – er weiß   ... alles   ...« Nun vermochte man seine Worte kaum mehr zu verstehen, von Neuem quoll rings um die stählerne Spitze Blut aus seiner Brust.
     »Das Kind muss das Dorf verlassen   ... unverzüglich   ... Bring das Schwert   ... zu den Bewahrern. Auch   ... ein Diamant unterwegs   ...«
    Die letzten Worte gefroren dem Mann wie Raureif auf den Lippen, und sein ganzer Körper erschlaffte. Die blauen Augen rollten
     nach oben und starrten einen Punkt über Skips rechter Schulter an.
    Er war tot.

|21| Der Prior
    Mit einem Ruck schreckte Skip aus seiner Versunkenheit und riss den Blick von der stillen Gestalt los. »So lassen wir ihn
     nicht liegen!«, bestimmte er. »Wir könnten unseren Lastkarren herbringen und   –«
    »Du hast den Verstand verloren!«, zischte Ellah. »Sie kommen zurück!«
    »Wer?«
    »Die Cha’ori!
Und
die Mörder! Hörst du’s nicht?«
    Die Windböen schleuderten das schrille Kreischen eines Echsen-Ungeheuers herbei. Und
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