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Das Erbe des Alchimisten

Das Erbe des Alchimisten

Titel: Das Erbe des Alchimisten
Autoren: Christopher Pike
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warum Alpträume keine Realität sind. Ich selbst habe das Gefühl, mich durch einen Traum zu bewegen. Meine wiedergewonnenen Kräfte versetzen mich in körperliche Hochstimmung, doch gleichzeitig empfinde ich die Angst vor Kalika als große Bürde.
Ich entdecke die beiden am Ende des Piers.
Seymour schaut aufs Meer hinaus. Kalika steht neben ihm. Sie trägt ein langes weißes Kleid und füttert die Vögel mit Brotkrumen. Ich bin noch eine halbe Meile von beiden entfernt, aber ich erkenne ihre Züge genau. Seymour gibt vor, die Aussicht zu genießen, aber gleichzeitig blickt er immer wieder zu Kalika. Die Muskeln in seinem Nacken sind verkrampft; er hat Angst. Doch er scheint unverletzt zu sein, wofür ich dankbar bin.
Kalika ist ein Mysterium. Der Mond steht fast voll am Himmel, und er läßt ihr langes dunkles Haar wie silbernen Samt schimmern, der im Wind weht. Während sie die Vögel füttert, konzentriert sie sich voll und ganz auf ihr Tun, als ob nichts anderes Bedeutung für sie habe. Diese Eigenschaft habe ich schon früher an ihr festgestellt. Wenn sie etwas tut, füllt es sie ganz und gar aus und läßt keinen Platz für etwas anderes. Ohne Zweifel war sie auch hundertprozentig bei der Sache, als sie Eric die Kehle aufgeschlitzt hat. Es ist ein ernüchternder Gedanke, der mir in Erinnerung bringt, daß sie auch jetzt eine Geisel bei sich hat. Kali und ihre Kette aus Schädeln. Wird meine Tochter noch in dieser Nacht drei neue hinzufügen können?
Ich denke an Paula, die sich vom Krankenhaus aus ein Taxi genommen hat. Eine Flucht in die Nacht mit zwanzigtausend Dollar in der Tasche und einem in eine Decke eingewickelten Neugeborenen. Und das nur, weil ihr eine angebliche Freundin gesagt hat, sie sei in Gefahr. Aber schließlich haben auch ihre Träume sie gewarnt. Merkwürdig, daß der alte Mann in ihrem Traum, den sie mir beschrieben hat, aussah wie der Obdachlose, der den Eiswagen bewacht hat.
»Du siehst sehr hübsch aus heute abend. Aber ich weiß, daß du in Eile bist.«
Wer war der Mann?
Es ist eine Geheimnis, das ich ein andermal lösen muß.
Ich gebe mir keine Mühe, meine Ankunft zu verbergen. Ich weiß, daß es ohnehin keinen Sinn hätte. Doch ich bewege mich, wie ein Mensch sich bewegen würde. Meine Schritte sind vorsichtig, meine Atemzüge flach. Mein Gesicht ist verkrampft vor Sorge, und meine Schultern sind wie in Verteidigungshaltung vorgebeugt. Doch meine Vorstellung erreicht nicht ihre Zuschauer, denn Kalika fährt damit fort, die Vögel zu füttern, und sieht erst auf, als ich sie praktisch erreicht habe. Etwa zwanzig Fuß vor dem Ende des Piers bleibe ich stehen. Mittlerweile schaut Seymour mich an – mit einer Mischung aus Angst und Hoffnung. Natürlich fällt ihm auf, daß ich das Kind nicht bei mir habe. Der Anblick des Blutes, das aus Erics Arterien schießt, muß sich tief in sein Gehirn eingegraben haben. Er strahlt wenig von seiner üblichen Zuversicht aus, obwohl er sich alle Mühe gibt. Schließlich zwingt er sich zu lächeln.
»Schön, daß du pünktlich bist«, sagt er und deutet auf den Mond, der in der letzten Nacht, als Paulas Kind geboren wurde, noch voll war. »Netter Abend, nicht?«
»Ich bin hier«, sage ich zu Kalika. »Laß ihn gehen!«
Sie starrt mich an, zu ihren Füßen schwirren immer noch einige Tauben, die die restlichen Krumen aufpicken. Ihr langes weißes Kleid – ich habe es noch nie gesehen – steht ihr hervorragend, das seidige Material bewegt sich sanft in der Brise und betont ihre weiblichen Kurven. Mit einer Handbewegung scheucht sie die Tauben davon und erhebt sich dann.
»Ich habe nicht geglaubt, daß du das Kind mitbringen würdest«, sagt sie ruhig.
»Aber ich selbst bin hier. Laß Seymour frei!«
»Warum sollte ich?«
»Weil ich deine Mutter bin und es von dir verlange. Das sollte Grund genug sein.«
»Ist es nicht.«
»Er ist noch so jung. Und er sollte nicht in unsere Probleme hineingezogen werden.«
Kalika lächelt kurz über meine letzte Bemerkung. »Auch ich bin jung, Mutter. Und darum sollte man mir die Fehler nachsehen, die ich in meinem Leben gemacht habe.«
»Brauchst du meine Vergebung?«
»Ich glaube nicht.« Zu ihren Füßen sitzt immer noch ein hartnäckiger Vogel. Kalika beugt sich hinab, nimmt ihn in ihre Hände und erhebt sich wieder. Sie streicht der Taube über das Gefieder und flüstert ihr leise etwas ins Ohr. Dann spricht sie wieder zu mir: »Du solltest mittlerweile wissen, daß es nicht gut ist, mich anzulügen.«
»Du
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