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Das Erbe des Alchimisten

Das Erbe des Alchimisten

Titel: Das Erbe des Alchimisten
Autoren: Christopher Pike
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oft Pausen. Ich bete viel.«
Aus irgendeinem Grund interessiert mich dieses Mädchen. Sie hat etwas Besonderes – eine ungewöhnliche Sanftheit in ihrem Wesen, Freundlichkeit in ihrer Stimme. Sie ist keineswegs groß und kräftig, aber man spürt ihre Anwesenheit. Sie hat eine ungewöhnliche Präsenz. Dabei wirkt sie absolut nicht aufdringlich, was mir ebenfalls gefällt.
»Für was beten Sie?« frage ich.
Paula lächelt scheu und senkt den Kopf. »Das sollte ich besser nicht erzählen.«
Ich streichle ihr über den Rücken. »Schon gut, Sie müssen es nicht sagen. Wer weiß? Manchmal sind Gebete wie Wünsche. Sie verlieren ihren Zauber, wenn man sie laut ausspricht.«
Paula sieht mich eindringlich an. »Woher kommen Sie, Alisa?«
»Aus dem Norden. Warum?«
»Ich könnte schwören, daß ich Sie schon mal gesehen habe.«
Diese Bemerkung berührt mich tief im Innern. Weil ich in diesem Moment genau das gleiche empfinde. Da ist etwas sehr Vertrautes in ihren Augen, im sanften Licht ihrer dunklen Tiefe. Sie erinnern mich irgendwie an die Vergangenheit, und davon habe ich schließlich immer noch jede Menge.
Doch ich bin versucht, ihre Bemerkung einfach beiseitezuwischen, genauso wie ich die Gedanken an meine eigene Sterblichkeit beiseitewische, die mich nachts überfallen, wenn Ray neben mir schläft, während ich selbst keinen Schlaf finden kann. Diese Schlaflosigkeit ist einer der wenigen Nachteile meiner Verwandlung. Vermutlich muß ich mich einfach daran gewöhnen, nachts nicht mehr zu jagen. Die Straßen in einem schwarzen Ledermini unsicher zu machen. Mit einem verführerischen Lächeln den Tod zu bringen und dann meinen unendlichen Durst zu stillen. Statt dessen stehe ich nachts jetzt nur auf, um mir ein Glas warme Milch zu machen und zu Krishna zu beten, der für mich immer noch Gott ist. An ihn erinnere ich mich auch während der dunkelsten Stunden.
Einst wurde Krishna gefragt, was das größte Wunder in der Schöpfung sei, und er antwortete: »Daß die Menschen jeden Morgen in der Überzeugung aufwachen, ewig zu leben, obwohl sie doch wissen, daß sie dazu verdammt sind, eines Tages zu sterben.« Und auch ich bin in dieser Hinsicht ganz Mensch, denn ein Teil von mir ist auch nach meiner Verwandlung der festen Überzeugung, daß ich ewig leben werde. Und dieser Teil war nie so lebendig wie während meiner Begegnung mit Paula, der einfachen jungen Frau, die ich in dem Buchladen kennengelernt habe.
»Vermutlich habe ich einfach ein Allerweltsgesicht«, murmele ich vor mich hin.
    Während wir zusammen Mittag essen, lerne ich Paula besser kennen und gebe ihr ein paar sorgfältig zensierte Informationen über mich. Als wir fertig sind mit dem Essen, sind wir beide fast schon Freundinnen, was für mich einen großen Fortschritt auf der steinigen Straße der Menschwerdung bedeutet. Wir tauschen unsere Telefonnummern aus und versprechen einander, in Verbindung bleiben zu wollen, und ich weiß, daß es kein leeres Versprechen ist. Ich mag Paula sehr, es ist fast, als hätte ich ein Auge auf sie geworfen, obwohl ich in meiner fünftausend Jahre währenden Vergangenheit nur wenige sexuelle Erfahrungen mit Frauen gemacht habe. Abgesehen davon habe ich jetzt Ray, der mich in jeder Hinsicht erfüllt und befriedigt. Doch während ich mich jetzt von ihr verabschiede, denke ich schon an unser Wiedersehen und freue mich darauf.
    Paula ist wirklich ein ungewöhnlicher Mensch – intelligent und gleichzeitig voller Demut. Bisher habe ich die Erfahrung gemacht, daß die Menschen unehrlicher sind, je intelligenter sie sind. Ich weiß, daß moderne Psychologen mir in diesem Punkt widersprechen würden, aber sind sie nicht ebenfalls oftmals unehrlich? Ich habe die Psychologie nie als eine Wissenschaft akzeptiert. Wer sollte jemals das Herz eines Menschen erklären können, geschweige denn die Seele? Paula hat einen hellwachen Verstand, doch sich gleichzeitig ihre Unschuld bewahrt. Als wir uns nach unserer ersten Verabredung trennen, besteht sie darauf, für unsere kleine Mahlzeit aufzukommen, obwohl sie offensichtlich nicht viel Geld hat. Aber da es ihr viel zu bedeuten scheint, lasse ich sie zahlen.
    5.
Kapitel
    In der nächsten Woche geht das Leben angenehm und gleichmäßig weiter. Es ist schön, eine neue Freundin zu haben, einen Partner, der gleichzeitig mein Liebhaber ist, und das wachsende Leben in mir zu spüren. Ich bin sicher, daß es eine Tochter ist, und trotzdem bete ich zu Gott, damit er mir meinen Wunsch auch wirklich
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