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Das Erbe der Runen 03 - Die Schattenweberin

Das Erbe der Runen 03 - Die Schattenweberin

Titel: Das Erbe der Runen 03 - Die Schattenweberin
Autoren: Monika Felten
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Nein. Ich weiß nicht.« Ajana blinzelte, verwirrt über die eigenen Gefühle, überlegte kurz und sagte dann: »Verlangen kann ich nichts von ihm. Er muss es für sich selbst entscheiden. Ich denke aber, eine winzige Hoffnung ist immer noch besser als keine.«
    »Wohl gesprochen.« Die Elbin nickte. »Vielleicht hilft es Keelin schon zu wissen, dass es kein endgültiger Abschied sein muss. Aber bevor du zu ihm gehst, gibt es noch etwas, das ich dir sagen wollte.« Sie hielt inne, nahm die Schatulle mit der Knospe noch einmal zur Hand und sagte dann: »Morgen tritt der Hohe Rat zusammen, um die Feierlichkeiten deines Abschieds zu veranlassen.«
    »Feierlichkeiten?« Ajana versuchte sich ihr Unbehagen über diese Nachricht nicht anmerken zu lassen und sagte höflich: »Ich fühle mich sehr geehrt. Aber, im Vertrauen, lieber wäre mir ein Abschied ohne große Feier. Nur mit Euch, Keelin und …«
    »Das dachte ich mir schon, aber daraus wird wohl nichts.« Inahwen lächelte verständnisvoll. »Ehe du uns verlässt, wirst du wohl einige Reden und Lobeshymnen über dich ergehen lassen müssen. Die Völker Nymaths lieben und verehren dich. Sie verdanken dir so viel« – ein unterschwelliger Tadel schlich sich in ihre Stimme, als sie fortfuhr –, »und da wäre es wirklich sehr unhöflich, sich wie ein Dieb davonzustehlen.«
    »Also gut!« Ajana seufzte und nickte ergeben. »Wann wird das Fest stattfinden?«
    »Vermutlich unmittelbar vor deinem Aufbruch zum Ulvars«, meinte Inahwen. »Du hast also noch ausreichend Zeit, um über ein paar passende Worte zum Abschied nachzudenken.«
     
     

    ***
     
    Die Dunkelheit nahte und breitete ihr samtenes Schattentuch über Nymath. Ein milder Wind, der den Geruch des Frühlings in sich trug, drängte den Regen nach Westen und ließ die Erde schlammig und aufgeweicht zurück. Die Wolkendecke riss auf und gab den Weg frei für das Licht der beiden Monde, die in dieser Nacht rund und voll am Himmel standen.
    Der silberne und kupferne Schein spiegelte sich in Abermillionen von Wassertropfen, die der Regen auf den verdorrten Blütenständen der Purpurheide zurückgelassen hatte, und gab ihnen den Anschein, als sei das Land von einem Teppich aus funkelnden Edelsteinen bedeckt.
    Die beiden dunklen Gestalten, die sich inmitten der nächtlichen Pracht bewegten, blieben angesichts der Schönheit ungerührt. Ihr Ziel fest im Blick, gingen sie gemessenen Schrittes schweigend den flachen Hügel hinauf, auf dessen Kuppe das bleiche Skelett eines gespaltenen Baumes in den Himmel ragte.
    Der Winter hatte die Narben nicht heilen können, die das verheerende Feuer seinem Stamm zugefügt hatte. Immer noch muteten die kahlen Äste wie knochige Finger an, erstarrt in stummem Flehen.
    Doch der Baum war nicht tot.
    Was von fern kahl und leblos wirkte, offenbarte dem Auge des Betrachters aus der Nähe ein kleines Wunder. An einigen der geschundenen Äste kämpften sich winzige Knospen unter der harten Schicht hervor, die den Baum vor der endgültigen Zerstörung bewahrt hatte. Nicht mehr lange, dann würde das erste grüne Blatt vom Sieg des Lebens über das Verderben künden.
    »Ist es recht?« Eine weiße Wolke glitt in der nächtlichen Kälte unter dem Schatten des breitkrempigen Hutes hervor, als der Mann die Frage stellte.
    »Das ist nicht von Belang.« Die Stimme seiner Begleiterin wirkte ernst und gefasst. Die fellbesetzte Kapuze des Umhangs verhüllte ihr Gesicht, dennoch schienen ihre Augen in der Dunkelheit für den Bruchteil eines Augenblicks aufzuleuchten, als sie streng hinzufügte: »Wir müssen es tun. Du weißt es.«
    »Und dennoch …«, entgegnete er leise, fast so als fürchte er ihren Zorn.
    »Was zählt das Schicksal des Einzelnen, wenn es darum geht, eine Welt zu retten?«, fragte sie ihn und fügte unbeirrt hinzu: »Die Knoten der Macht werden neu geknüpft. In Zeiten wie diesen vermag das Fallen eines Blattes genügen, um über Schicksale zu entscheiden.« Sie ging noch ein paar Schritte, hielt dann aber inne und sah ihren Begleiter von der Seite her an. »Wir sind allein, vergiss das nicht«, mahnte sie mit einem beschwörenden Unterton in der Stimme und fügte hinzu: »Wir dürfen das Ziel nicht aus den Augen verlieren. Er darf nicht siegen.«
    Der Mann wagte nicht, ihr zu widersprechen. Wie einen unsichtbaren Mantel, der ihm schwer auf den Schultern lastete, trug er sein Unbehagen den Hügel hinauf.
     
     

    ***
     
    Der Platz vor den Stallungen war dunkel. Drinnen
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