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Das Erbe der Runen 01 - Die Nebelsängerin

Titel: Das Erbe der Runen 01 - Die Nebelsängerin
Autoren: Monika Felten
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Mann. Wir müssen …«
    »Mit Verlaub, Eure Waren sind es nicht, die uns Sorge bereiten«, wandte Gaynor höflich ein. Er wusste nur zu gut, welch wohlhabende Schicht sich hier eingefunden hatte. Diese Leute waren selbstsüchtig und überheblich. Zu gern hätte Gaynor darauf verzichtet, sich mit ihnen abzugeben, doch die Zeit drängte, und ihm blieb keine Wahl. So schluckte er die bissige Bemerkung herunter, die ihm auf der Zunge lag, und fuhr betont sachlich fort: »Die Frauen und Kinder, die Alten und Schwachen sind es, deren Sicherheit uns am Herzen liegt. Wie wir alle wissen, besitzt Sanforan kaum noch nennenswerte Befestigungsanlagen. Die Stadt ist ein florierender Handelsstützpunkt und keine Festung. Wenn die Uzoma am Pass durchbrechen, besteht unsere einzige Hoffnung darin, ihnen in einer offenen Schlacht entgegenzutreten. Einer Schlacht, die erbittert und ohne Gnade geführt werden muss und nur mit der völligen Vernichtung des einen oder des anderen ein Ende finden wird. Jeder, der noch imstande ist, eine Waffe zu führen, wird einberufen werden. Alle anderen müssen mit Schiffen nach Wyron gebracht werden, der unbewohnten Insel im schwarzen Ozean, um dort auszuharren, bis der Krieg vorüber ist.«
    »Ihr wollt die Stadt mit unseren Schiffen evakuieren?«, unterbrach der Händler Gaynor empört. »Aber was wird aus meinen Waren? Wenn die Handelsflotte Tausende von Menschen befördern soll, werden die Laderäume keinen Platz mehr bieten. Das ist …«
    »… der einzige Weg!« Der scharfe Tonfall machte deutlich, wie ernst es Gaynor mit seiner Entscheidung meinte. Er wusste den Rat einstimmig hinter sich und war fest entschlossen, sich nicht der Habgier der Händler zu beugen; doch er wusste auch, dass er erhebliche Zugeständnisse machen musste. Seit dem frühen Morgen schon hatte der Hohe Rat zusammengesessen und Pläne für den Notfall erarbeitet.
    Weitsichtiges Handeln wurde als oberstes Gebot angesehen, doch die Handelsflotte, die zur Evakuierung der Bevölkerung unverzichtbar war, unterlag nicht dem Oberbefehl des Hohen Rates. Aus diesem Grund hatte man an diesem Abend alle einflussreichen Partikuliere, Händler und Geschäftsleute Sanforans hierher berufen.
    »Die Räumung der Stadt ist der einzige Weg«, wiederholte Gaynor mit fester Stimme. »Sollte es zu einem Angriff kommen, sind die Schiffe unsere letzte Hoffnung.«
     
     
     
    »Das könnte des Rätsels Lösung sein!« Mit einem kleinen Karton unter dem Arm kam Kyle Evans die Treppe herunter. Nachdem er den seltsamen Brief der Dubliner Anwaltskanzlei gelesen hatte, war er plötzlich sehr nachdenklich geworden und ohne ein weiteres Wort auf den Dachboden gestiegen.
    »Kommt mit ins Wohnzimmer, ich will euch etwas zeigen«, forderte er seine Frau und Ajana auf. Die beiden tauschten verwunderte Blicke, sagten jedoch nichts und folgten ihm.
    Im Wohnzimmer hielt es Ajana nicht länger aus. »Was ist da drin?«, wollte sie wissen und deutete auf den vergilbten Pappkarton.
    Kyle Evans legte eine Hand darauf und sagte mit einem schwer zu deutenden Blick: »Darin ist mein Erbe – meine Vergangenheit sozusagen.« Ein wehmütiger, fast trauriger Unterton schwang in den Worten mit. »Ich habe diesen Karton schon ein paar Jahre«, erklärte er schließlich. »Man fand ihn, als der Haushalt meiner Stiefeltern aufgelöst wurde. Es ist eines der wenigen Erinnerungsstücke aus dem Nachlass. Ihr wisst ja, das Erbe reichte gerade, um Vaters Schulden zu bezahlen.«
    »Und was ist nun da drin?«, fragte Ajana noch einmal voller Ungeduld.
    »Fotos.«
    »Fotos?«, wiederholte Ajana enttäuscht.
    »Ja, Fotos. Und ein paar persönliche Unterlagen«, erklärte ihr Vater. »Ich wusste schon als Kind, dass die Evans nicht meine leiblichen Eltern sind. Doch darüber haben sie zeitlebens geschwiegen und mir auch nicht erzählt, woher ich tatsächlich stamme.« Er machte eine bedeutungsvolle Pause und klopfte mit den Fingern auf den Karton. »Erst als ich das hier bekam, wurde mir klar, warum sie sich so seltsam verhalten haben.«
    »Warum?«
    »Nun – weil meine Eltern Iren waren.« Kyle Evans sagte dies in einem Tonfall, als erklärte es alles. Doch Ajana verstand noch immer nicht.
    »Na und?«, fragte sie.
    »Ich denke, meinen Pflegeeltern war es unangenehm, das zuzugeben«, holte ihr Vater aus. »Mein Stiefvater war ausgesprochen konservativ, also very british. Er fluchte ständig über die verdammten Iren und wollte wohl daher meine Abstammung auf jeden Fall
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