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Das Erbe der Pilgerin

Das Erbe der Pilgerin

Titel: Das Erbe der Pilgerin
Autoren: Ricarda Jordan
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geschehen ist – er wird feststellen, dass die Sterne nicht lügen!«

D IE K RÖNUNG
    Loches – Mainz
Winter 1212

Kapitel 1
    G erlin hatte den Boten, der ihr den Brief mit dem Siegel von Lauenstein übergab, reich belohnt. Ihr Herz klopfte immer schneller, wenn sie es sah – nicht nur, weil ihr Sohn selten schrieb, sondern vor allem, weil das Siegel sie an ihr altes Leben als Gattin des Grafen von Lauenstein erinnerte. Und daran, was in nicht allzu ferner Zukunft vor ihr liegen würde. Das Kapitel Lauenstein war längst nicht beendet, und sie freute sich darüber, dass auch ihr Sohn Dietmar dies nicht vergaß.
    Gerlin zog sich mit dem Schreiben aus Paris in ihre Kemenate zurück, warf aber noch einen Blick aus dem Fenster in den Burghof, bevor sie das Siegel brach.
    Richard, ihr zwölfjähriger Sohn, übte sich vor der Burg mit anderen jungen Knappen im Schwertkampf. Gerlin lächelte, wenn sie seinen blonden Schopf bei einer raschen Parade aufblitzen sah. Seine Manier, das Schwert zu führen, erinnerte jetzt schon an seinen Vater Florís de Trillon. Und bald würde es Zeit werden, ihn zur Erziehung an einen anderen Hof zu geben.
    Gerlin seufzte. Die Kinder wurden zu schnell groß! Aber Richard würde sie nicht gleich nach Paris schicken wie seinen älteren Halbbruder. Auch wenn der Junge von einer Ausbildung am Königshof träumte – Gerlin sah ihn lieber auf einer der benachbarten Burgen im Vendômois. Und Isabelle …
    Gerlin entdeckte ihre zehnjährige Tochter, der sie den Namen ihrer viel zu früh verstorbenen Mutter gegeben hatte, beim Hüpfspiel gemeinsam mit der Tochter der Köchin. Auch sie würde eines Tages fortgehen müssen. Dabei hätte Gerlin sie gern auf ihrer Burg behalten und ihrerseits andere Mädchen als Gespielinnen für sie aufgenommen. Aber das ging nicht, sie konnte sich nicht festlegen. Auch hier bestimmte der Schatten von Lauenstein nach wie vor ihr Leben.
    Aber nun sah sie Florís, dessen großer Schimmel eben durchs Burgtor trat. Wie immer galt sein erster Blick seiner Frau – er schaute hoch zu ihrem Fenster, nachdem er sie im Burghof nicht erspäht hatte. Gerlin winkte ihm zu. Sie würde auf ihn warten, dann konnten sie Dietmars Brief gemeinsam lesen.
    Florís brachte einen Krug Wein mit hinauf, als er kurze Zeit später die Tür ihrer gemeinsamen Räume öffnete. »Hier, der edelste Tropfen, um dir die Kehle zu befeuchten!«, sagte er lächelnd und küsste sie.
    Gerlin erwiderte die Liebkosung. »Dietmar hat geschrieben. Der Brief ist an uns beide adressiert, wie immer«, erklärte sie.
    Dietmar liebte und achtete seinen Ziehvater Florís. Der Ritter hatte stets größten Wert darauf gelegt, den Jungen zwar einerseits wie einen eigenen Sohn zu behandeln, andererseits das Andenken an Dietmars leiblichen Vater in ihm wachzuhalten. Florís de Trillon hatte Dietrich von Lauenstein bis zu seinem viel zu frühen Tod treu gedient. Der Graf hatte ihm seinen Sohn und sein Weib auf dem Sterbebett anvertraut. Wohl wissend, dass der Ritter Gerlin liebte.
    »So schenke uns ein«, sagte Gerlin nun lächelnd und brach das Siegel des Briefes, während Florís Wein in zwei silberne Pokale füllte. Er konnte sich den Luxus leisten. Die Wälder und die fruchtbaren Ländereien von Loches brachten genügend Gold ein, um dem König die Abgaben zu zahlen und auch selbst sorglos zu leben.
    Geliebte Mutter, geehrter Pflegevater,
    wie immer ist zu viel Zeit vergangen, seit ich das letzte Mal zur Feder gegriffen habe – ich hoffe, Ihr verzeiht es mir auch jetzt wieder. Ihr wisst, ich habe ein Schwert zu führen.
    Dietmar von Ornemünde hatte drei Jahre zuvor seine Schwertleite am Hof des Königs Philipp August gefeiert und sich dabei sogar besonders ausgezeichnet. Gerlin war überaus stolz auf ihn, als er gleich an seinem ersten Tag als Ritter drei Gegner im Tjost vom Pferd holte. Nun diente er in der Garde des Königs und arbeitete weiter daran, sein Können als Ritter zu vervollkommnen, zusammen mit dem Prinzen Ludwig, der gemeinsam mit ihm zum Ritter geschlagen worden war. Der König war zögerlich mit dem Kronprinzen, der als Kind von schwacher Gesundheit gewesen war. Jetzt war Ludwig jedoch ein eifriger und geschickter Kämpfer, dem sein Vater selbstredend die besten Lehrer zur Seite stellte.
    Nun mögt Ihr argwöhnen, dass mich dies kaum den ganzen Tag beschäftigen wird, und wer weiß, womöglich befürchtet Mutter schon wieder, dass ich meiner Minnedame zu viel Aufmerksamkeit widme.
    Gerlin
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