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Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance

Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance

Titel: Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
Autoren: Philippa Gregory
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»Seid Ihr auf die Stunde Eures Todes vorbereitet?«
    Ich lache laut, und das klingt so echt wahnsinnig, dass ich noch einmal lache. Ich kann ihm ja schlecht sagen, dass er sich irrt und dass ich nicht zum Tode verurteilt werden kann, weil ich verrückt bin, aber ich kann auf ihn zeigen und sehr laut »Hallo! Hallo! Hallo!« sagen.
    Er seufzt und kniet sich vor mir auf den Boden, faltet die Hände und schließt die Augen. Ich hüpfe auf die andere Seite der Zelle und sage wieder: »Hallo?« Er jedoch beginnt, das Gebet der Beichte und Buße aufzusagen, und achtet nicht auf meine Tollheiten. Irgendein Dummkopf muss ihm gesagt haben, dass ich hingerichtet würde, und ich schätze, ich muss mitspielen, da ich ja schlecht mit dem Priester diskutieren kann. Ich nehme an, dass sie erst im letzten Moment kommen werden und das Urteil in Kerkerhaft umwandeln. »Hallo!«, rufe ich wieder und klettere auf das Fenstersims.
    In der Menge entsteht eine Bewegung, alle recken die Hälse, um auf die Tür am Fuße des Towers zu spähen. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und drücke mein Gesicht an die kalte Scheibe, um es auch zu sehen. Da ist sie: die kleine Kitty Howard. Sie taumelt auf das Schafott zu. Ihre Beine scheinen den Dienst zu versagen, sie wird von einem Wachmann und einer Hofdame halb zu den Stufen geschleppt und auf die hölzerne Bühne gehoben. Ich lache über diese lächerliche Szene, aber dann überkommt mich Entsetzen, weil ich über ein Mädchen lache, ein Kind fast noch, das in seinen Tod geht. Dann merke ich, dass Lachen als überzeugender Beweis für meinen Wahnsinn gewertet werden kann, und ich lache noch einmal, damit der Priester es hört, der dort hinten für meine Seele betet.
    Sie sieht aus, als sei sie ohnmächtig geworden, sie schlagen ihr ins Gesicht und zwicken sie in die Wangen, in das arme, kleine Gesicht. Sie stolpert zum vorderen Rand der Bühne und umklammert das Geländer und versucht, etwas zu sagen. Ich kann es nicht verstehen, ich bezweifle, ob irgendjemand viel versteht. Ich sehe jedoch ihre Lippen, es sieht aus, als ob sie »Bitte« sagt.
    Dann sinkt sie zurück, und sie fangen sie auf und zwingen sie vor dem Block auf die Knie, sie klammert sich daran, als könnte das Holz sie retten. Selbst von hier oben kann ich sehen, dass sie in Tränen aufgelöst ist. Und dann streicht sie sich sanft, wie sie es immer vor dem Schlafengehen tat, als wäre sie noch ein kleines Mädchen, eine Locke aus dem Gesicht und legt ihren Kopf auf das glatte Holz. Sie dreht ihren kleinen Kopf und schmiegt eine Wange an das Holz. Zögernd, als wünschte sie, es nicht tun zu müssen, streckt sie ihre zitternden Hände nach hinten, und der Henker hat es eilig, und seine Axt zuckt herab wie ein Blitz.
    Ich schreie, als ich den mächtigen Blutstrom sehe und ihren Kopf, der auf der Plattform hüpft, bevor er in den Korb fällt. Der Priester hinter mir schweigt, und gerade noch rechtzeitig fällt mir ein, dass ich nicht für einen Moment aus der Rolle fallen darf, deshalb rufe ich aus: »Kitty, bist du das? Bist du das, Kitty? Ist das ein Spiel?«
    »Arme Frau«, sagt der Priester und kommt auf die Beine. »Gib mir ein Zeichen, dass du gebeichtet hast und deinem Tod als gute Christin entgegengehst, du armes Ding ohne Verstand.«
    Ich hüpfe vom Fenstersims herunter, als ich den Schlüssel klirren höre, denn nun kommen sie und bringen mich nach Hause. Sie werden mich zur Hintertür hinausschmuggeln, eilig zum Wassertor bringen und dann, so nehme ich an, mit einer schlichten Barke nach Greenwich und mit dem Boot weiter nach Norwich. »Zeit zu gehen«, sage ich fröhlich.
    »Gott segne sie und vergebe ihr«, sagt der Priester. Er hält mir die Bibel hin, damit ich sie küsse.
    »Zeit zu gehen«, wiederhole ich. Ich küsse die Bibel, weil es so dringend erscheint, und lache in sein trauriges Gesicht.
    Die Wachen nehmen mich in die Mitte, und wir gehen rasch die Treppe hinunter. Doch als ich erwarte, dass wir uns zum rückwärtigen Teil des Towers wenden und zum Wassertor gehen, biegen sie in die andere Richtung und bringen mich stattdessen zu der Tür, die zum Rasenplatz mit dem Schafott führt. Sofort sträube ich mich: Ich will nicht Katherine Howards Leichnam sehen, eingewickelt wie schmutzige Wäsche. Doch dann fällt mir wieder ein, dass ich ja bis zum letzten Augenblick, bis sie mich ins Boot setzen, die Verrückte spielen muss. Ich muss dem Wahnsinn verfallen sein, damit ich nicht enthauptet werden kann.
    »Rasch,
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