Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance

Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance

Titel: Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
Autoren: Philippa Gregory
Vom Netzwerk:
mich nicht in den Tower, ich flehe Euch an. Bringt mich zum König, damit ich ihn selbst um Vergebung bitte. Ich flehe Euch an! Wenn er es will, werde ich in den Tower gehen, ich werde einen würdevollen Tod sterben, aber ich bin noch nicht bereit dazu. Ich bin doch erst fünfzehn! Ich kann noch nicht sterben.«
    Sie schweigen, sie marschieren über die Laufplanke auf die Barke, und ich winde mich in ihrem Griff, weil ich versuchen will, mich ins Wasser zu werfen und zu fliehen, aber sie halten mich fest mit ihren riesigen Händen. Sie schleudern mich unter den Baldachin im Heck der Barke und setzen sich fast auf mich, um mich ruhig zu halten. Sie halten meine Hände und meine Füße fest, und ich schluchze und bettele, sie sollten mich zum König bringen. Sie aber schauen über den Fluss hinweg, als wären sie taub.
    Mein Onkel und die Ratsmitglieder kommen an Bord, sie sehen aus wie Männer, die zu ihrem eigenen Begräbnis gehen. »Mylord Herzog, hört mich an!«, rufe ich, doch er schüttelt nur den Kopf und geht zum Bug des Bootes, wo er mich weder hören noch sehen kann.
    Ich habe nun so große Angst, dass ich nicht aufhören kann zu weinen, die Tränen laufen mir übers Gesicht, und meine Nase läuft, und dieser Rohling hält meine Hände fest, sodass ich mir nicht einmal das Gesicht abwischen kann. Meine Wangen sind kalt und nass von Tränen, und auf meinen Lippen schmecke ich widerwärtigen Rotz, und sie erlauben nicht einmal, dass ich mir die Nase putze. »Bitte«, flehe ich. »Bitte.« Aber sie hören mir überhaupt nicht zu.
    Die Barke gleitet rasch flussabwärts. Sie haben die Flut genau richtig erwischt, und die Ruderer werfen ihre Riemen platt, um in die sanfteste Strömung zur London Bridge zu kommen. Ich schaue nach oben und wünsche sofort, ich hätte es nicht getan, denn dort stecken zwei aufgespießte Köpfe, zwei frisch abgeschlagene Köpfe, Tom Culpepper und Francis Dereham. Sie sehen aus wie feuchte, weiche Wasserspeier, die Augen weit aufgerissen und die Zähne gefletscht. Eine Möwe versucht gerade, auf Derehams dunklem Haar zu landen. Die Köpfe stecken auf Pfählen neben den entsetzlich verwesten Köpfen vieler anderer Hinrichtungsopfer, und die Vögel reißen ihnen Augen und Zungen heraus und stoßen ihre scharfen Schnäbel in die Ohren, um an das Gehirn zu kommen.
    »Bitte«, flüstere ich. Ich weiß nicht einmal mehr, wofür ich bitte. Ich hoffe nur, dass es dann aufhört. Ich will nicht, dass dies geschieht. »Bitte, gütige Herren ... bitte ...«
    Wir fahren zum Wassertor hinein, das langsam hochgezogen wird. Die Ruderer ziehen die Riemen ein, und unser Boot gleitet zu dem Anleger an der dunklen Mauer. Der Befehlshaber des Towers, Sir Edmund Walsingham, steht auf den Stufen und erwartet mich, als wäre ich gekommen, um in den königlichen Gemächern zu übernachten, als wäre ich immer noch Königin, eine junge, hübsche Königin. Das Fallgatter platscht ins Wasser, sie tragen mich aus der Barke und halten mich unter den Armen fest, während ich stolpernd die Stufen erklimme.
    »Guten Tag, Lady Katherine«, grüßt Sir Edmund so höflich wie immer. Doch ich gebe keine Antwort, da ich nicht aufhören kann zu schluchzen, mit jedem Atemzug. Ich schaue zurück, und da steht mein Onkel in der Barke, er wartet, bis sie mich hineingebracht haben. Sobald seine Pflicht erfüllt ist, wird er eilends diese Mauern verlassen. Er wird bemüht sein, dass der Schatten des Towers nur ja nicht auf ihn fällt. Er wird zum König eilen und ihm berichten, dass die Familie Howard ihr faules Glied abgetrennt hat. Ich bin es, die den Preis für den Ehrgeiz der Howards zahlen wird - nicht er.
    Ich kreische: »Onkel!«, doch er macht eine Handbewegung, als wollte er sagen: »Nur fort mit ihr!«, und die Wachen gehorchen. Sie führen mich die Treppe hoch am White Tower vorbei und über die Rasenfläche. Dort errichten Arbeiter eine Plattform, eine kleine hölzerne Bühne von ungefähr drei Fuß Höhe, zu der eine breite Treppe hinaufführt. Andere ziehen einen Zaun darum. Meine Wärter gehen ein wenig rascher und wenden den Blick ab. Deshalb weiß ich, dass dies mein Schafott ist und dass der Zaun die Menge zurückhält, die zum Schauspiel meines Todes kommen wird.
    »Wie viele Menschen werden kommen?«, frage ich, nach Luft ringend, die mir durch das Schluchzen knapp geworden ist.
    »An die hundert«, antwortet der Wärter unbehaglich. »Die Öffentlichkeit ist nicht zugelassen. Nur der Hof. Euch zu Gefallen.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher