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Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens

Titel: Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens
Autoren: Tiziano Terzani
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jenes Vetters meines Vaters, der die Pferdeäpfel von den Gleisen fegte. Er war zur Marine eingezogen worden, war von Monticelli auf ein Kriegsschiff katapultiert worden - denn es war Krieg - und fuhr auf dem Mittelmeer herum, nach Spanien und Gibraltar. Er gab furchtbar damit an, und wenn er zurückkam, erzählte er von exotischen Fischen, die einem, wenn man die Füße über dem Wasser baumeln ließ, die Strümpfe anknabberten. Er log das Blaue vom Himmel herunter, aber ich war fasziniert von seiner Uniform - ein echter Matrose! - und seinen Geschichten. Mario, der Matrose. Er war der Erste, der mich spüren ließ, dass es auch etwas anderes gab; der mir die Ahnung von einer anderen Welt vermittelte.
    FOLCO: Wenn ich an meine Kindheit denke, fallen mir vor allem meine Freunde ein. Aber du …
    TIZIANO: Nein, ich habe nicht viele Freunde gehabt, denn die echten Jungenspiele wie Fußball hatte meine Mutter mir verboten. Das war eine andere große Demütigung für mich. Meine Mutter hatte sich eine Tochter gewünscht, keinen Sohn, deshalb zog sie mir die ersten vier, fünf Jahre meines Lebens Mädchenkleider an. Weißt du, damals war die Kleidung sowieso ziemlich unisex, auch wir Jungen gingen im Kittel zur Schule, lange Hosen bekamen wir erst später.
    Ein anderes Problem war der Sauberkeitstick meiner Mutter, und Fußballspielen war eine schmutzige Angelegenheit, da fiel man auch mal hin. Sie überwachte mich ständig, und ich weiß noch, wie traurig ich mit sechs, sieben, acht Jahren in der Via Pisana am Fenster stand und meinen Schulkameraden zusah, die so richtig schön dreckig waren und mit einem Ball loszogen.
    Das ist die Welt, in der ich groß geworden bin - und aus der ich abgehauen bin, sobald ich konnte.
    FOLCO: Und Großvater? Wollte der nicht, dass du Fußball spielst?
    TIZIANO: Mein Vater spielte in unserem täglichen Leben nur eine sehr begrenzte Rolle, denn er ging morgens früh aus dem Haus und kam abends erst spät wieder. Deshalb war ich immer nur mit meiner Mutter zusammen. Sie hat mich immer übertrieben umsorgt, und wenn ich ehrlich bin, war alles, was später geschah, im Grunde eine einzige Flucht vor ihr. Mein Vater war anders, schüchtern und voller Angst vor Macht und Autorität, aber auch intelligent und unglaublich großzügig. Das sind die Dinge, die dir bleiben. Denk nur, alles lastete auf seinen Schultern, er arbeitete hart, um das nötige Geld zu verdienen, aber das größte Kotelett abends bekam ich. Das Familienoberhaupt allerdings war er, daran war nicht zu rütteln.
    Mein Vater, Gerardo, war zunächst Dreher geworden. Er verließ die Schule nach der dritten Klasse, glaube ich, und begann schon sehr früh zu arbeiten. Er konnte lesen und schreiben, auch wenn es ihm nicht besonders leicht fiel. Später lernte er dann richtig gut rechnen, denn er führte eine kleine Autowerkstatt, die er mit einem Kompagnon aufgemacht hatte. Lina, meine Mutter, lernte er kennen - und das ist wieder eine dieser schönen Geschichten, die es bei den armen Leuten gibt -, weil sie in der Via del Porcellana wohnte und als Hutmacherin in Porta al Prato arbeitete, du weißt ja, damals trugen alle Frauen Hüte. Tag für Tag sah er diese schöne Frau vorbeikommen - denn deine Großmutter Lina war sehr schön mit ihrer zarten, weißen Haut und den pechschwarzen Haaren -, und irgendwie gelang es ihm, einem kleinen, unscheinbaren Männlein, sie zu erobern.
    Meine Mutter war nicht besonders intelligent. Sie war beschränkt und voller Vorurteile. „Ich stamme aus Florenz. Mein Vater hat immerhin für den Grafen Gondi gearbeitet, nicht für den Bäcker von Monticelli!“Sie hasste Monticelli, weil es vor den Toren der Stadt lag und nicht im Schatten des Doms. Sie fühlte sich wie im Exil und wollte mit den gemeinen Frauen vom Land nichts zu tun haben. Sie hatte immer diese Sehnsucht, etwas anderes zu sein, und in gewisser Weise hat sie die auch auf mich übertragen.
    Meine Mutter hatte die Macken aller Armen, die aufsteigen wollen. So gab sie etwa damit an, dass ihr Vater, mein Großvater Giovanni, der Koch des Grafen Gondi gewesen war und dazu noch sein besonderer Liebling, denn als der Graf irgendwann entdeckte, dass seine Frau ihn betrog, holte er seinen Revolver hervor, um sie zu erschießen. Mein Großvater aber ging dazwischen und entwand dem Grafen die Pistole. Ganz schön mutig für einen Koch, einem Grafen die Pistole aus der Hand zu nehmen! „Er mochte deinen Großvater so gern“, sagte sie manchmal zu
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