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Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens

Titel: Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens
Autoren: Tiziano Terzani
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Häuser standen an einer Straße, auf der die Straßenbahn vorbeifuhr. Anfangs wurde sie noch von Pferden gezogen, und ein Vetter meines Vaters hatte die Aufgabe, die Gleise sauber zu halten und die Pferdeäpfel einzusammeln. Und da er das auch im Winter tun musste, trug er immer eine warme Jacke, die er von der Stadtverwaltung bekommen hatte, eine dicke Baumwolljacke, die ich als Oberschüler glücklicherweise erbte, so dass ich zu Hause, wo es keine Heizung gab, am Küchentisch sitzen und lernen konnte.
    Wir wohnten sehr einfach. Durch eine schmale Haustür kam man zu einer geraden Treppe, die zu einer winzigen Wohnung hinaufführte. Beim Eintreten stand man direkt im Wohnzimmer. Es gab eine Küche, wo gegessen wurde, und ein Schlafzimmer, in dem wir alle drei schliefen. Mein Bett stand neben dem Ehebett der Eltern.
    Es war eine ganz eigene Welt, die für Beschränktheit, aber auch für Vertrautheit steht. Stell dir vor, die Einrichtung dieser Wohnung, die ich dir gerade beschrieben habe, war zur Hochzeit meiner Eltern im Jahre 1936 angeschafft worden. Man darf nicht vergessen, dass meine Eltern arm waren, bitterarm. Ihre Hochzeitsreise haben sie nach Prato gemacht, das liegt nur fünfzehn Kilometer entfernt, aber für sie war es eine große Reise! Die weiteste, die sie je machten, bis ich sie später nach New York und nach Asien einlud.
    Die Wohnung war eingerichtet, wie es damals üblich war. Man heiratete, wenn man die Aussteuer zusammenhatte. Die Aussteuer bestand aus einem Bett, einem Schrank, in dem die ordentlich zusammengelegte Wäsche aufbewahrt wurde - ich erinnere mich noch an den Duft der Lavendelzweige und der Seifen, die meine Mutter zwischen die Laken legte -, und dann gab es noch eine Kommode, die in meinem Leben gewissermaßen Freud und Leid verkörperte. Denn wenn mein Vater am Monatsende das Geld, das er verdient hatte, mit seinem Kompagnon teilte und nach Hause brachte, wurde es in diese Kommode zwischen die Laken gelegt. Damals hatte kein Mensch ein Konto auf der Bank. Nie werde ich vergessen, wie es war, wenn der Monat auf den fünfzehnten, siebzehnten oder zwanzigsten zuging; diese Zeremonie, wenn wir in der Kommode nachsahen - ich heimlich, meine Mutter etwas weniger -, wie viel Geld noch zwischen der Bettwäsche lag. Es war nie genug, und am Ende des Monats hatten wir oft kein Geld zum Essen mehr.
    Das Leben war in Wochen- und Feiertage unterteilt, wie ihr jungen Leute euch das heute kaum noch vorstellen könnt. Ich hatte zum Beispiel einen Anzug - ein Paar kurze Hosen, ein Hemd und eine Jacke -, den ich nur am Sonntag tragen durfte. An den übrigen Tagen trug man seine Alltagskleidung. Sonntags hingegen, nach diesem herrlichen Bad... Wir hatten eine große Wanne, weißt du, eine Zinkwanne, in der ich, der Held der Familie, als Erster badete. Das Wasser wurde auf dem Gasherd heiß gemacht und in die Wanne gegossen, und dann wurde ich abgeseift. Nach mir kam meine Mutter dran, und als Letztes mein Vater.
    FOLCO: Im selben Wasser?
    TIZIANO: Im selben Wasser. Und dann, im Sonntagsstaat, gingen ich und meine Mutter in die Kirche. Mein Vater hingegen hat nie auch nur einen Fuß hineingesetzt! Dann ging der Sonntag los. Es gab Mittagessen, und nachmittags wurden die Verwandten besucht, meistens zu Fuß, aber manchmal auch mit der Straßenbahn.
    In der Küche stand ein Tisch mit einer Marmorplatte, die im Winter eiskalt war, wo ich, bis ich achtzehn war, immer saß und lernte. Und ein Gasherd. Oder warte, im Krieg hatten wir kein Gas, sondern Kohle. Und man kochte auf einem Herd, in dem man Feuer machte. Schließlich gab es noch einen Küchenschrank, in dem die Lebensmittel aufbewahrt wurden. Ich liebte Obst, aber ich durfte die herrliche Schranktür mit den Äpfeln dahinter nur einmal täglich öffnen, denn mir stand nur ein Apfel zu.
    Mein Vater besaß ein altes Fahrrad, mit dem er zur Arbeit fuhr, in seinem nach Schmieröl stinkenden Monteuranzug. Das Fahrrad war ihm so wichtig, dass er es nie irgendwo stehen ließ, auf der Straße sowieso nicht, aber auch nicht am Fuß der Treppe innen hinter der Haustür, die immer geschlossen war. Jeden Abend trug er es die Treppe hinauf ins Wohnzimmer, um sicherzugehen, dass sein Fahrrad auch wirklich seines blieb. Ansonsten gab es in der Wohnung nichts von alledem, was wir heute gewöhnt sind. Stell dir vor, wir hatten nicht einmal ein Radio, von einem Fernseher ganz zu schweigen. Und ein Telefon natürlich auch nicht. Das kam alles zu seiner Zeit.
    Als
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